Die Liberalisierung

Nach fast 100 Jahren waren die klassischen Staatsbahnen ebenfalls am Ende. Sie wurden Opfer der Politik und einer mächtigen Wirtschaft. Sie mussten sich neu ausrichten. Die bisherigen Strukturen, die sich über die Jahre verfestigt hatten, mussten aufgebrochen und neu geordnet werden. Einfach gesagt, man wollte aus den schwerfälligen Staatsbahnen wieder flexible Privatbahnen machen. Der Verkehr sollte nur noch staatlich überwacht, aber nicht mehr ausgeführt werden.

Doch, was war geschehen? Die Staatsbahnen sollten sich mit der Neuausrichtung wieder als private Bahnen fühlen und sich marktwirtschaftlich verhalten. Ein offener international tätiger Bahnmarkt sollte entstehen. Die von der Wirtschaft geforderten Ideen waren vordergründig bessere Verkehrswege. Letztlich sollten jedoch einfach die Preise sinken und so der Transport noch billiger werden. Ein Punkt, den wir noch näher betrachten werden.

Die hoheitlich gewachsenen nationalen Streckennetze waren plötzlich frei zugänglich und durften von jeder Gesellschaft befahren werden. Dadurch entsteht eine Konkurrenz zwischen den einzelnen Anbietern. Der Kunde, also der Auftraggeber kann sich so das optimale Transportmittel aussuchen. Er muss nicht mehr mit Staatsbahnen verhandeln. Ganz klar, dass so die Preise für die Transporte sinken, denn der Kunde sucht jetzt das billigste Angebot.

Bevor ich nun zu der neuen Regelung komme, kann ich es Ihnen mit den Worten eines Kritikers näher bringen. Die Liberalisierung schafft genau das, was man mit der Staatsbahn verhindern wollte, nämlich Bahnen, die nur noch aufs Geld schauen und sich bekämpfen. Die Folgen sind marode Eisenbahnen und Bankrotte. Der Verkehr bricht zusammen und der Wirtschaft fehlen die Transportwege oder sie müssen sich mit einem Anbieter, der überrissene Preise verlangt, abfinden.

Sollte dieser Kritiker womöglich richtig liegen? Erinnern wir uns an die Zeit vor 1898. Damals bekämpften sich die NOB und JS. Die SCB konnte sich nicht mehr entwickeln, weil sie eine Übernahme befürchten musste. Das führte letztlich beinahe zu einen völlige Zusammenbruch des ganzen Systems. So gesehen liegt der Kritiker mit seinen Argumenten sicherlich nicht so daneben, denn die Gefahr, dass das erneut passiert, besteht natürlich.

Hingegen wurden die Strukturen diesmal anders geregelt. So ist gewährleistet, dass zum Beispiel das Streckennetz immer bereit steht. Jedoch die darauf verkehrenden Züge stammen von unterschiedlichen Firmen. Im schlimmsten Fall bricht nur ein Teil des Verkehrs zusammen, jedoch bleiben die Anlagen ganz. Damit wir das jedoch verstehen, betrachten wir nun die neuen Strukturen der Bahnen in Europa anhand der Schweiz.

Die Zulassungsbehörde: An die Stelle der bisherigen Bahngesellschaften trat nun eine Zulassungsbehörde. Diese Behörde regelt hoheitlich die Bedingungen für Fahrzeuge und Strecken. Diese Zulassungsbehörde ist der Landesregierung unterstellt und nicht mehr in den Bahnen integriert. Man kann diese Zulassungsbehörde mit einer Polizei für die Eisenbahn vergleichen, wobei hier jedoch noch weitere Funktionen wahrgenommen werden.

Die Zulassungsbehörde erlässt auch die gesetzlichen Grundlagen. Das heisst, die geltenden Vorschriften werden durch die Behörde ausgearbeitet und müssen von den Bahnen oder den Arbeitern eingehalten werden. Die Zulassungsbehörde regelt dabei nicht nur die Berechtigungen, sondern überprüft auch deren Einhaltung. In der Schweiz wurde diese Funktion durch das Bundesamt für Verkehr BAV wahrgenommen.

Die Zulassungsbehörde hat dabei einige Instrumente zur Durchsetzung ihrer Vorschriften erhalten. So werden zum Beispiel die Prüfungen für das Personal von Vertretern der Behörde abgenommen. Damit ist gesichert, dass ein einheitlicher Standard gewahrt bleibt. Weit wichtiger ist aber die Zulassung der Fahrzeuge, denn die obliegen nun auch dieser Behörde und ist nicht mehr Bestandteil der einzelnen Bahnen, wie das bisher der Fall war.

Mit Hilfe einer Zulassungsfahrt kontrolliert deshalb die Behörde, ob ein Fahrzeug für die Schweiz zugelassen wird oder nicht. Das heisst, ohne eine entsprechende Berechtigung der Behörde darf ein Fahrzeug in der Schweiz oder auch in anderen europäischen Eisenbahnnetzen nicht verkehren. Die bisher zwischen den Bahnen geltenden Abmachungen verschwanden und staatlich organisierte Programme traten an diese Stelle.

Man kann eine Zulassungsfahrt auch als Prüfung bezeichnen. Die Zulassungsbehörde prüft dabei, ob das Fahrzeug wirklich die vom Hersteller gemachten Angaben erfüllt. Erst nach erfolgreichem Abschluss der Zulassungsfahrt darf ein Fahrzeug kommerziell eingesetzt werden. Es erhält die behördliche Betriebsbewilligung. Ähnliche ist das bei Ihrem Wagen, denn die Behörden gaben Ihnen eine Zulassung für den Wagen.

Die Behörde kann nachträglich kontrollieren, ob diese Bedingungen erfüllt sind. Dazu werden die Züge angehalten und die Einhaltung der gemachten Vorschriften kontrolliert. Sie können das mit einer Polizeikontrolle auf der Strasse vergleichen. Neben den wichtigen Dokumenten, wird auch der Zustand der Fahrzeuge kontrolliert. Die Zulassungsbehörde kann daher auch eine Betriebsbewilligung entziehen und so ein Fahrzeug stilllegen.

Netzbetreiber: Die Netzbetreiber wurden durch die Umstrukturierung aus den eigentlichen Bahnen herausgelöst. Diese Netzbetreiber sind jene Firmen, die das Gleisnetz, die Energie zur Verfügung stellen und die Reihenfolge der Züge regeln. Was bisher direkt den Bahnen unterstellt war, ist das auch jetzt noch, wobei eine klare Trennung vom betrieblichen Bereich erfolgte. Auch die Netzbetreiber sind der Zulassungsbehörde unterstellt.

Der Netzbetreiber ist verpflichtet, jedes Unternehmen, das eine behördliche Zulassung vorweisen kann, auf dem Netz verkehren zu lassen. Dabei soll das so frei wie nur möglich sein.

Dazu nehmen wir ein einfaches Beispiel. Die Strecke über den Lötschberg ist dem Netzbetreiber BLS unterstellt. Die darauf verkehrenden Züge gehören jedoch anderen Gesellschaften.

Eine der bisherigen Bahnen, kann sich daher nur noch auf das Betreiben eines Netzes spezialisieren.

Der Netzbetreiber kann die von der Behörde erlassenen Gesetze und Regelwerke noch mit seinen Bestimmungen ergänzen. So ist die Übersicht gewahrt.

Stellen Sie sich vor, jeder Mitarbeiter der SBB müsste die von der Behörde vorgegeben Bedingungen, die für eine schmalspurige Bahn geschaffen wurden, behandeln. Das ginge zu weit, denn was kümmert einen Mitarbeiter der RhB, was im Raum Basel für Bedingungen gelten?

Die Instandstellung der Anlagen ist Aufgabe des Netzbetreibers. Um eine Erneuerung eines Abschnittes durchzuführen, sucht sich der Netzbetreiber den besten Anbieter dazu aus. Wer letztlich den Auftrag erhält, hängt davon ab, wie sein Angebot angenommen wurde. Damit ist auch hier gewährleistet, dass unterschiedliche Anbieter den Unterhalt durchführen können. Die bisherigen Baudienste müssen sich behaupten und um Aufträge werben.

Da die Netzbetreiber einen diskriminierungsfreien Zugang gewährleisten müssen, entstehen oft sonderbare Situationen. Aus lauter Angst, das neu hinzu gekommene Unternehmen könnte sich gegenüber dem bisherigen Unternehmen benachteiligt fühlen, erfolgt oft eine Benachteiligung des ehemaligen Unternehmens. Das dabei dieses diskriminiert wird, ist klar. Dies zeigt deutlich, wie schwer eine solche Regelung umzusetzen ist, wenn ein Netzbetreiber auch ein EVU unterhält.

Eisenbahnverkehrsunternehmen EVU: Die auf den Geleisen der Schweiz oder in einem anderen Land verkehrenden Gesellschaften wurden aus den bisherigen Bahnen herausgelöst und neu als Eisenbahnverkehrsunternehmen EVU bezeichnet. Diese EVU sind nicht mehr an ein bestimmtes Netz gebunden und können frei zwischen den Netzbetreibern hin und her wechseln. Diese EVU betätigen sich im Personenverkehr oder im Güterverkehr.

Es sind die EVU, welche sich im internationalen Markt behauten müssen und die für die bunten Züge sorgen. Als EVU kommen jedoch längst nicht nur die bisherigen Bereiche der Bahnen in Frage.

Ein EVU kann auch nur aus einem Anbieter bestehen, der mit Zügen fährt. Welches EVU letztlich den Transport durchführt, hängt von der Vergabe durch den Auftraggeber ab. So ist hier ein freier Markt mit mehreren Anbietern entstanden.

Ein EVU muss bestimmte von der Zulassungsbehörde erlassene Bedingungen erfüllen und darf danach im Land verkehren. Das heisst, das EVU erhält eine behördliche Betriebsbewilligung und kann danach den kommerziellen Betrieb im entsprechenden Land aufnehmen.

Dabei spielt es keine Rolle mehr, ob das EVU ein eigenes Netz hatte oder nicht. Die EVU sind unabhängige Firmen und operieren oftmals über mehrere Länder hinweg.

Hier drängt sich zu Verdeutlichung ein Vergleich mit der Strasse auf. Jedes Auto verkehrt ja auf der gleichen Strasse, die vom Land oder vom Kanton (Netzbetreiber)  zur Verfügung gestellt wird.

Es kommen Fahrzeuge von Firmen mit den unterschiedlichsten Namen und private Fahrzeuge zum Einsatz. Genauso ist es bei den modernen Bahnen. Die Fahrzeuge gehören einem EVU und verkehren in den entsprechenden Netzen. So gesehen, sind Sie mit Ihrem Wagen ein EVU auf der Strasse.

Der Kunde der einzelnen EVU kann nun auswählen, welcher Betreiber denn nun der günstigere ist. So hat er die Garantie, dass er einen guten Transportpreis erhält. Nur, entstanden durch diese Liberalisierung viele kleinere Unternehmen, die mit billigen Tarifen um jeden Auftrag kämpfen. So werden auch die anderen Bahnen zu tieferen Preisen gezwungen. Die Folgen könnten dramatisch sei, denn irgendwann gehen solche Preiskämpfe nicht mehr auf.

Ein reales Bespiel soll das deutlich aufzeigen. Das EVU Lokoop, das aus der Mittelthurgaubahn entstand, begann sehr schnell damit, sich in den Gütermarkt in der Schweiz einzubringen. Durch günstige Tarife erhielt das EVU auch die entsprechenden Aufträge, die von der ehemaligen Staatsbahn übernommen wurden. SBB Cargo, das EVU der ehemaligen Staatsbahn reagierte natürlich mit Korrekturen bei den Preisen. Die Transportpreise für den Kunden sanken.

Nur, damit das EVU die Preiskorrekturen der SBB mitmachen konnte, musste das EVU Lokoop noch günstiger werden. Es entstand ein Kreislauf mit verheerenden Folgen, denn das EVU Lokoop und damit die Mittelthurgaubahn gerieten in finanzielle Schieflage und konnten die anstehenden Rechnungen nicht mehr bezahlen. Die finanzielle Unterstützung von Seiten der Kantone blieb jedoch aus, da sich das EVU privatrechtlich behaupten musste.

Die Folge war die erste Liqudation einer schweizerischen Eisenbahn. Die bisheriger Privatbahn Mittelthurgaubahn wurde in die immer noch staatlich unterstütze SBB überführt und verschwand mittlerweile gänzlich von der Bildfläche. Im internationalen Markt könnten sich ähnliche Prozesse abwickeln, die Folge ist dann im schlimmsten Fall ein Zusammenbruch des Bahnverkehrs in Europa oder ein einzelner Anbieter der übrig bleibt und der die Preise vorgibt.

Wir sind somit wieder dort angelangt, wo dereinst die GB, die JS, die NOB, die SCB und die VSB waren. In einem Machtkampf, der mit allen erdenklichen Mitteln geführt wird. Nach 100 Jahren wurde die Volksmeinung ignoriert und die Eisenbahn in die Hände der Wirtschaft übergeben. Wie lange das diesmal gut gehen wird, wird die Zeit zeigen. Im schlimmsten Fall, wird es danach in Europa nur noch einen Anbieter geben, der die Preise diktiert.

Welche Umbauten das in rechtlicher Hinsicht bei den bisherigen Bahnen nach sich zog, soll nun anhand der schweizerischen Bundesbahnen SBB aufgezeigt werden.

 

Zurück Navigation durch das Thema Weiter
  Home Depots im Wandel der Zeit Die Gotthardbahn
Fachbegriffe News Die Lötschbergbahn
Übersicht der Signale Links Geschichte der Alpenbahnen
Die Lokomotivführer Lokführergeschichte Kontakt

Copyright 2014 by Bruno Lämmli Erstfeld: Alle Rechte vorbehalten