Persönliche Erfahrungen

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Bei keiner anderen Lokomotive kann ich behaupten, dass sie die erste gewesen war, die ich von innen gesehen habe. Es handelte sich damals um die Lokomotive mit der Nummer 11 622 bei ihrer Taufe auf den Namen „Suhr“. Als kleiner Knirps im Kindergarten durften wir in die grosse Lokomotive besichtigen. Die grosse Maschine faszinierte natürlich einen kleinen Jungen, der an einer Strecke wohnte, wo die grossen Lokomotiven Mangelware waren.

Es war wohl Liebe auf den ersten Blick, denn von diesem Tag an war klar, was ich beruflich machen wollte. Ich wusste aber nach ein paar Jahren auch, dass diese Maschinen am Gotthard verkehrten.

Da ich nicht davon ausging, dass ich je einmal über diese Strecke fahren würde, erkannte ich, dass es wohl mit dem Traum, die Nummer 11 622 einmal zu be-dienen, nichts werden würde. Aber, man soll seine Träume bekanntlich nie auf-geben.

Bei der Lokomotive Re 6/6 galt ungefähr dasselbe wie bei der Baureihe Re 4/4 III. Sie bildete bei meinem Eintritt bei den Schweizerischen Bundesbahnen SBB das Rückgrat des modernen Eisenbahnverkehrs über den Gotthard.

So gab es in der Ausbildung kaum einen Tag, wo wir nicht mit einer Re 6/6 ar-beiten durften. Oft waren die Lokomotiven noch alleine unterwegs, doch die ersten Doppeltraktionen verkehrten auch schon.

Ein Blick auf die im Depot angebrachte Infowand offenbarte selbst dem jungen angehenden Lokführer wichtige Informationen. Informationen, die nicht direkt zur Ausbildung gehörten.

Dazu gehörte die Angabe, welche Lokomotiven in Erstfeld zu Hause waren. Da-runter war auch die Maschine mit der Nummer 11 622. Somit war ich schon sehr nahe bei der Lokomotive. Bisher hatten sich unsere Wege noch nicht gekreuzt.

Faszinierend war die enorme Leistung der Maschine, die sie vor allem bei gutem Wetter blendend auf die Schienen brachte. Dieser Umstand konnte beim aufholen von Verspätungen sehr hilfreich sein, da man dadurch sehr schnell die erlaubte Höchstgeschwindigkeit erreichte.

Vor allem dann, wenn man mit einer Re 4/4 II ein Wettrennen veranstalten konnte. Mit den zwei Feldschwächungsstufen liess man die kleine Schwester einfach ste-hen.

Schliesslich kam der Tag, als sie in meine Hände übergeben wurde. Die Lokomotive mit der Nummer 11 622 sollte mich über den Gotthard nach Chiasso bringen. Damit war das Ziel erreicht, das sich ein kleiner Junge im Kindergarten erträumte. Nur, jetzt war sie eine der vielen Maschinen dieser Baureihe, die hier verkehrten. Nur, etwas speziell war sie schon, die Lokomotive mit dem Wappen der Gemeinde „Suhr“.

Die Re 6/6 hatte mich aber öfters ins Schwitzen gebracht, als mir lieb war. Dies nicht nur im Sommer bei hohen Temperaturen, die beinahe nicht mehr auszuhalten wa-ren.

Störungen am Schleuderschutz waren für den betroffenen Lokführer nervig, besonders dann, wenn die Maschine nicht alleine unterwegs war.

Da war ich keine Ausnahme und innerlich habe ich immer wieder geflucht, aber die Bau-reihe Re 6/6 gehörte zu mei-nen Lieblingen. Lange hielt der Ärger nicht an.

Das Schlimme bei diesen Störungen war, dass sie im-mer dann auftraten, wenn man sie am wenigsten ge-brauchen konnte.

Kam hinzu, dass die Loko-motive Re 6/6 ausgerechnet dann vielfachgesteuert war. Mit sehr viel Pech regnete es in Strömen und der Zug war ausgesprochen schwer. Dann mussten die Lokomotiven ausgewechselt werden. Nass und schmutzig ging die Fahrt schliesslich mit viel Verspätung weiter. Natürlich schien dann wieder die Sonne.

So kam schliesslich auch bei mir der Tag, wo mich eine der nervigsten Störungen bei der Lokomotive erwischte. Die Fahrt von Luzern nach Arth-Goldau verlief mit dem Eurocity am Haken problemlos. Bis zu diesem Punkt, wo ich mich auf den elektrischen Bremsbetrieb vorbereitete. Als ich die Trennhüpfer schloss, stieg die Anzeige für den Differenzstrom in gigantische Höhen und der Zug ging in die Knie, als ob einer die Notbremse gezogen hätte.

Schon fast beängstigend war der Sound, den die Maschine in diesem Moment von sich gab. Alle Versuche, die Bremsung vernünftig zu beheben scheiterten, so dass ich nur noch die Lösung mit den Trennhüpfern hatte. Nun, die im Speisewagen werden sich wohl ab dem Ruck durch den Zug nicht gross erfreuen. Mit einer Bremsung versuchte ich das Schlimmste zu vermeiden. Dann öffnete ich die Trennhüpfer zu den Fahrmotoren

Der Ruck, der durch den Zug ging, war gewaltig und im Maschinenraum hat es kräftig geknallt. Der Rauch, der durch die Ritzen bei der Türe in den Führerstand kam, lies mich Schlimmstes befürchten. Doch es gab kein Feuer und die Lokomotive arbeitete wieder normal. Zum Glück sah niemand den Idioten in der Lokomotive und sein Fragezeichen auf der Stirn. Was war da zum Teufel denn passiert? Später wurde ich in den Klub der „Selbststromerreger“ aufgenommen.

Die Fahrt mit einer anderen Lokomotive verlief bis zur Einfahrt in den Bahnhof von Castione-Arbedo ohne nennenswerte Probleme. Dann knallte es und die Spannung in der Fahrleitung fehlte. Daher griff ich zur pneumatischen Bremse und brachte den Zug im Bahnhof zum Stillstand. Die Abklärungen ergaben, dass in diesem Bereich die Spannung in der Fahrleitung ausgefallen war. Bei meinen Einschaltversuch knallte es erneut und die Ursache war gefunden. Kurzschluss auf der Lokomotive.

Obwohl die Re 6/6 bisher die einzige Lokomotive war, die mich so im Stich gelassen hatte, dass ich und der Zug durch eine andere Lokomotive abgeholt werden mussten, ziehe ich sie jeder anderen Lokomotive von SBB Cargo vor.

Im Grossen und Ganzen funktionierte die Maschine nämlich zufriedenstellend. Auch bei ihr bildete die Elektronik ein Schwachpunkt.

Die Gründe waren jedoch auch hier die-selben wie an anderen Orten, die Elek-tronik verträgt hohe Temperaturen halt noch schlechter als der Mensch.

Gemischte Gefühle hatte ich zur Klima-anlage, die alle Probleme beseitigen soll-te. Zwar war ich auch über zeitgemässe Arbeitsbedingungen froh, aber im Gegen-satz zu den Lokomotiven Re 4/4 II hatte die Klimaanlage bei der Baureihe Re 620 ein grosses Problem.

Im vollgestopften Maschinenraum war kein Platz mehr vorhanden. So musste der Platz anderswo gesucht werden. Ge-funden wurde er im Führerstand. Es wurde einfach noch etwas enger.

So kam es, dass die Lokführer jedes Mal gewaltig vor sich hin fluchten, wenn sie beim betreten des Führerstandes über den Heizerstuhl stolperten, der mitten im Durchgang stand. Schon oft hatte ich den Stuhl in Gedanken aus der Lokomotive geworfen, stand er doch mitten im Fluchtweg. Gebraucht wurde er ja nicht mehr und wenn der Chef einmal kommt, dann könnte er ja auch stehen. Natürlich konnte er auch seinen Campingstuhl mitnehmen.

Bei den Maschinen mit ETCS erhielt man nun die Infos statt von der Bandanzeige von einem Bildschirm. Klar, dass auch das nicht nur freundliche Gefühle auslöst. Besonders in der Nacht kann der Bildschirm schon blendend wirken. Da der Mensch zudem ein Gewohnheitstier ist, suchten wir ab und zu die Fahrstromanzeigen am falschen Ort. Nicht rechts, sondern links war die und mit einem Knurren wurde es auch festgestellt.

Mit der ETCS-Ausrüstung kam auch der digitale Zugfunk auf die Lokomotive. Schön war hier, dass auch der analoge Funk weiter vorhanden war. Unsere Vorgesetzten wollen zudem, dass wir den Funk in Erstfeld fröhlich um-schalten.

Es sollten so Betriebserfahrungen gesammelt werden, dass dann aber der Zug während mehreren Minuten nicht über Funk erreichbar war, interessierte niemand, ausser vielleicht die Fahrdienstleiter vom Bahnhof Erstfeld.

Diese versuchten dann vergeblich dem Lokführer zu sagen, dass er noch vorziehen muss, weil der Zugschluss noch nicht im Gleis angekommen ist. Aber auch Cisalpino und andere schnelle Züge haben bekanntlich Bremsen und die Reisenden in diesem Zug sind es sich ja gewohnt, dass er ab und zu ausserordentlich anhält.

Die Freude ist dann gross, wenn es weiter geht. Diesmal war es nicht der Zug, sondern das Einfahrsignal von Erstfeld. Auf der Maschine im Bahnhof machte indes der Lokführer in aller Ruhe Feierabend

Die Änderung kam schnell, nun geschah der Wechsel in Arth-Goldau. Natürlich weiterhin bei einem Halt. Nur fuhren viele Züge dort durch, so dass das ganze Programm während der Fahrt gemacht werden musste.

Letztlich ist man dann irgendwann wieder auf einem Funk erreichbar gewesen. Solche Probleme gab es immer wieder, wenn Leute etwas planten, die kaum je den Zug benutzten. Sehnlichst erwartete man die GSM-R Ausrüstung für die komplette Gotthardachse.

Obschon man fast täglich mit der Baureihe Re 620 in Kontakt kam, vermisste man sie und zwar vor den schweren Reisezügen, die mit Lokomotiven Re 4/4 II kaum in vernünftiger Zeit auf Geschwindigkeit gebracht werden konnten.

Schliesslich erreichte der Stufenschalter die Stufe 32 und jede Bewegung mit dem Fahrschalter blieb bei der Re 4/4 II erfolglos. Keine Feldschwächung, kein Booster der gezündet werden konnte, einfach nur nichts.

Am 12 Juni 2005 gründete sich ein Verein, der sich zum Ziel gesetzt hatte, der Lokomotive ein passendes Denkmal zu setzen. Diese Eisenbahnfreunde haben sich bereits zum damaligen Zeitpunkt dazu entschlossen, sich der Baureihe Re 6/6 zu widmen. Diese Freunde der Re 6/6, wie sich der Verein nennt, haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Sie bemühen sich nicht nur um die Erhaltung einer historischen Lokomotive, sondern versuchen ein umfangreiches Archiv zu erstellen.

Die Idee hat mich so fasziniert, dass ich dem Verein seit seiner Gründung angehöre und mich auf möglichst viele Freunde freue. Bauen wir der Lokomotive ein Denkmal, denn wenn Sie diesen Artikel gelesen haben, wissen Sie, dass die Lokomotive ein aktives Denkmal verdient. Mein Favorit ist natürlich die Lokomotive mit der Nummer 11 622. Wie könnte es auch anders sein, denn es war eine dauerhafte Liebe geworden.

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