Erstfeld – San Paolo – Erstfeld

Erwacht bin ich ein paar Minuten vor dem Wecker. Diesen habe ich eigentlich auch nur zur Sicherheit gerichtet. Nach drei Wochen Nachtdienst, habe ich heute wieder einmal Mitteldienst und die Umstellung erfolgte über das Wochenende. Die Schlafzeiten verschieben sich so sehr schnell und sicher sein, dass es wirklich klappt, kann man nie. Daher richte ich den Wecker, auch wenn es eigentlich gar nicht nötig wäre und ich für die meisten Leute ausschlafen konnte.

Der Weg führt mich ins Bad, wo ich mit einem Lappen versuche, den Schlaf aus den Augen zu kriegen. Gestern wurde es spät, denn im Verein gingen die Diskussionen hoch her. Begonnen hatte der Abend mit ein paar Modellbahnzügen, die auf der Vereinsanlage verkehrten. Auch von mir war ein Zug dabei. Die Anlage funktionierte, auch wenn noch nicht alles ganz so gut klappte, denn es gab ein paar Zugstrennungen, die zu grösseren Problemen führten.

Anschliessend durfte der gesell-schaftliche Teil nicht fehlen. Gehört auch zum Vereinsleben dazu. Die Diskussionen drehten sich um die Steuern. Im Frühjahr ist das ein leidiges Problem, denn dann flattert in der Schweiz den Leuten die Steuer-rechnung ins Haus.

Niemand zahlt freiwillig Steuern, auch wenn das dem Steuervogt so gefallen würde. Es gab Jahre, da hatten die Eidgenossen von den Steuern genug und verjagten die Habsburger aus dem Tal.

Der Betrag, der dann dort zu lesen ist, schmerzt. Ist auch bei mir nicht anders, denn wer freut sich, wenn jedes Jahr eine Rechnung mit einem Betrag, der für einen Kleinwagen reichen würde, ins Haus flattert?

Damit die Rechnung auch wirklich schmerzt, wird noch eine Zahlungsfrist angegeben, die kaum reicht um das notwendige Geld zu verdienen. Letztlich führt diese Mischung zu angeregten Diskussionen in einem kleinen Verein in Erstfeld.

So wurde es Mitternacht, bis ich nur zu Hause ankam. Dann musste noch weggeräumt werden, denn meinen Lokomotiven und Wagen fuhren nicht alleine ins Depot. Erst danach konnte ich mich hinlegen und die Augen schliessen. Der Montag war vorbei, die Nacht und die Müdigkeit hatten gesiegt. Nur, dass ich sicherheitshalber noch schnell den Wecker richtete, man kann ja nie wissen. Dann war aber fertig und die Zeit der Träume begann.

Heute am Tag danach, stehe ich vor der Maschine, die mir den Kaffee zubereitet, den ich nun brauche. Ich blicke aus dem Fenster. Ein schöner Tag! Es sind kaum Wolken zu sehen. Nun stellt sich die Frage nach der Bekleidung und dem Wetter in meinem heutigen Zielgebiet, der Region Bellinzona. Mit dem Kaffee in der Hand gehe ich zum Computer, der nicht in der Küche steht. Mal sehen, was der Wetterbericht für das Tessin zu berichten hat. Dann kann ich mich vielleicht besser entscheiden.

Das ist so, ich entscheide mich für die leichte Sommerjacke. Bisher hatte ich noch die warme, schwere Jacke benötigt, aber ich hatte mitten in der Nacht Feierabend und die Nächte sind kühl. Der Frühling ist erst gerade erwacht und die Sonne hat noch zu wenig Kraft um auch die Nächte warm zu halten. In den Bergen spielt dann die Thermik noch mit und so fällt in der Nacht die kalte Luft aus den Bergen ins Tal. Dadurch entstehen grosse Unterschiede in der Temperatur zwischen Tag und Nacht und der benötigten Kleidung.

Da ich heute jedoch nicht in der Nacht nach Hause komme, reicht die leichte Sommerjacke. Die warme Jacke bleibt jedoch am Kleiderständer, denn diese warmen Tage werden vermutlich enden und dann wird es nasskalt werden. Dann ist man plötzlich um eine warme Jacke froh. Damit ziehe ich die Bekleidung, die bisher noch aus dem Schlafanzug bestand, für den Tag an. Ich weiss ja jetzt, was passend sein könnte. Nur ich muss ins Tessin, daher bin ich überzeugt, dass ich bereits zu viel angezogen habe.

Die Zeit bleibt nicht stehen und so muss ich mich auf den Weg machen. Eigentlich müsste ich noch nicht zur Arbeit gehen, denn ich habe zum Beginn der Tour noch Nebenarbeit eingeteilt. Das ist Zeit, die uns zusteht, damit wir die Änderungen machen können. Wo und wann ich diese jedoch mache, ist mir freigestellt. Das heisst, ich mache die Änderungen in der Freizeit und bekomme dann bei gewissen Touren die Zeit gutgeschrieben. Ich will aber noch schnell bei meinem Chef vorstellig werden.

Daher mache ich mich nun auf den Weg zum Depot. Die Strassen sind bekannt, die Probleme mit dem Verkehr auch und heute scheint es ruhig zu sein. Normalerweise kämpfen die gestressten Hausfrauen und –Männer vor dem Mittag um jeden Parkplatz beim Supermarkt. Die Tage sind nun am Ende des Monats ruhiger geworden. Die Fastenzeit wird wohl ernst genommen. Daher muss nicht viel eingekauft werden. Mein Mittagessen wurde ebenfalls gestrichen, die Zeit dazu reichte einfach nicht aus.

Ich gelange ohne nennenswerte Probleme zum Depot. Dort haben sich gerade die ersten Besucher des Depots eingefunden. Laufkundschaft, also Leute, die es auf gut Glück versuchen und einfach jemanden fragen. Das ist nicht oft von Erfolg gekrönt. Diese Führungen macht dann ein Lokführer. Jedoch nur, wenn er nicht für Fahrten benötigt wird. Ich gehöre einer kleinen Gruppe an, die Führungen durchführen, die angemeldet sind. Dieses Jahr haben sich bereits die ersten Gruppen angemeldet und die Termine müssen noch bestätigt werden.

Heute bin ich jedoch normaler Lokführer und damit genug beschäftigt. Auch wenn die Tour kurz ist. Ich fahre ins Tessin und bin nach knapp fünf Stunden wieder zurück. Tagesarbeit ist oft kurz. Die langen Touren fahren wir am frühen Morgen oder in der Nacht. Damit ich heute überhaupt auf die tägliche Minimalzeit komme, musste die Tour mit Nebenarbeit verlängert werden, so dass es sechs Stunden sind. Es gibt damit noch lockere Tage im Dienstplan.

Die Türe zum Taschenraum, wo auch die Garderobe für die Lokführer ist, öffnet sich. Natürlich erst, als ich die Klinke drücke und sie aufstosse. Automatische Türen im Depot Erstfeld, sucht man vergebens, denn dank den vielen Schutzauflagen, ist auch das nicht möglich. Aber man gewöhnt sich an die alte Infrastruktur im Depot und wenn ich ehrlich bin, gefällt es mir sehr gut in diesem altehrwürdigen Depot am Gotthard.

Sie wollen einen Vergleich? Gut, die meisten Lokführer in der Schweiz haben mehr oder weniger grosse Kästen aus Metall. Je nach Ausrüstung, findet man darin ausreichend Platz oder eben nicht. Ich hier öffne meinen ehrwürdigen Holzschrank und blicke in den vollgestopften Innenraum.

Irgendwo sollte hier die Jacke noch einen Platz finden, denn die nehme ich nicht mit ins Tessin. Natürlich bin ich ja selber schuld, wenn ich weniger Überkleider darin hätte, fände die Jacke locker Platz.

Aber jeder richtet sich so ein, wie es für ihn angenehm ist. Einige Kollegen stapeln hier die Reglemente, weil sie zu Hause nicht erwünscht sind oder keinen Platz finden. Andere benötigen kaum den vorhanden Platz und wiederum andere machen es wie ich und verstauen die Arbeitsmappe darin.

So ist sie weggeräumt und nicht für jedermann sichtbar. Man muss ja den Diebstahl nicht herausfordern und die Arbeitsmittel etwas gedeckt lagern. Im Kasten ist sie aus dem Blickfeld, auch wenn er nicht verschlossen ist.

Verschliessen müssen wir nun aber die Lokomotiven. Eine Weisung, die abgegeben wurde und die vom Personal mehr oder weniger ignoriert wurde, wurde nun nachdrücklich durchgesetzt. Man will damit den Vandalismus bekämpfen.

Mit den Lokomotiven im Depot, wäre das kein so grosses Problem, aber das wird ja seit Jahren nicht mehr so gemacht. Das Geld reicht dazu einfach nicht mehr aus. Jetzt werden auch in der Schweiz die Lokomotiven verschlossen.

Jetzt verschliessen wir die Lokomotiven und fluchen immer wieder, denn bei gewissen Lokomotiven ist das mit einer kleinen Kletterpartie verbunden.

Vielleicht wird die Weisung ja geändert, wenn der erste Lokführer von der Lokomotive fällt, weil er in einer waghalsigen Aktion die Türe abschloss. Nun, ob die Weisung sinnvoll ist oder nicht, beurteile ich nicht, ich mache, was mir gesagt wird und so schliesse ich die Lokomotiven ab.

Im Raum, der hier in Erstfeld seit Jahrzehnten als Führerzimmer bezeichnet wird, stelle ich meine Mappe auf den leeren Tisch und entnehme die Warnweste. Danach stelle ich die Mappe auf den Boden vor einem Regal. Das hier bereitstehende Gepäck lässt mich erkennen, dass die Besucher wohl Glück hatten. Ich lasse nun alles stehen und begebe mich auf den Weg zum Büro meines Vorgesetzten. Moment, es wäre wohl schlauer, wenn ich zuerst nachsehen würde, ob er überhaupt anwesend ist.

Das hätte ich eigentlich tun können, als ich mit der Mappe in der Hand daran vorbei gegangen bin. Vergesslichkeit wird bestraft. So muss ich einen kleinen Umweg auf mich nehmen. Niemand geht gerne zum Chef, wenn es dann noch vergebens ist, ist der Frust natürlich gross. Wobei heute will ich von meinem Chef eine Information, die durchaus wichtig ist. Ich habe daher kein eigentliches Aufgebot erhalten, sondern gehe sogar freiwillig, was nicht üblich ist.

 

Ein Samstag mit Problemen

Am vergangenen Samstag hatte ich Probleme, oder enorm viel Glück. Man kann es sehen, wie man will, aber die Folge davon war, dass ich eine Meldung schreiben musste. Zudem ist die Polizei in der Angelegenheit involviert. Ich möchte wissen, ob alles so weit geklärt ist, oder ich noch weitere Schritte einleiten muss. Einfach gesagt, ich möchte den Stand der Ermittlungen nachfragen. Doch, was Sie wohl mehr interessieren möchte, ist die Frage, was denn passiert ist.

Eigentlich ging der Abend mit der S-Bahn ruhig über die Bühne. Probleme mit Reisenden gab es nicht und so machte ich mich pünktlich daran, die letzte Fahrt nach Luzern unter die Räder zu nehmen. Auch jetzt verlief alles, wie es sein sollte und die Fahrt von Luzern Verkehrshaus nach Luzern sollte die letzte Etappe sein. In der Dienststation Gütsch kam es dann zum Vorfall, der eine grössere Geschichte werden sollte.

Die Signale waren grün und ich konnte mit dem Zug zufahren. Leider war dann auch der Laser grün, der auf den Zug gerichtet wurde. Glück hatte ich, dass sich der Attentäter wohl auf den Zug der Woche eingestellt hatte und mich daher nicht traf. Ich sah nur den grünen Punkt in der Ferne und das gebrochene Muster auf der Frontscheibe. Ob korrigiert wurde, weiss ich nicht, denn von diesem Moment an senkte ich den Kopf.

Die Meldung am Funk ging an den Fahrdienstleiter raus und ein Einsatz der Polizei wurde angeordnet. Laserattacken auf Züge sind keine Bagatelle, sondern es ist ein hinterhältiger und feiger Anschlag auf das Leben der Fahrgäste und die Gesundheit des Personals.

Das Fahrzeug erleidet keinen Schaden, es ist ein Anschlag auf die Person, die hinter der Scheibe sitzt. Gnade muss so eine Person von mir nicht erwarten.

Da kennen wir nichts, die Polizei soll sich um die Sache kümmern. Es kommt somit zur Anzeige gegen Unbekannt. Klar, es mag spassig sein, wenn man mit einem Laserpointer zeigen kann, dass man zielsicher ist.

Nur, wer das macht, hat vermutlich sein Hirn schon zu stark mit Alkohol oder Drogen beschädigt. Wenn er den ultimativen Kick will, soll er doch den Laser auf sich richten, dann kennt er die Folgen.

Auf der anderen Seite ist die getroffene Person. Der Laser wird in erster Linie als nervig empfunden. Nur, die Folgen sind weitaus schlimmer.

Wird ein Lokführer direkt getroffen, kann es schlimmste Folgen haben. Mein Glück war wohl, dass der Laser nicht traf. Bei einem vollen Treffer, hätte ich die Nacht möglicherweise im Spital verbracht und mich mit der Frage gequält, ob ich je wieder die Sonne sehen werde, oder ob dauernde Dunkelheit herrscht.

In Luzern kam das das besorgte Telefon des Vorgesetzten, der sich vermutlich auch einen schöneren Abend wünschte. Die Fragen konnte ich positiv beantworten. Ich konnte meine Arbeit beenden, es musste kein anderer Lokführer für den Zug gesucht werden. Der Vorfall war somit sehr glimpflich verlaufen. Entscheidend war, dass ich eine Führermeldung schreiben musste. Die Meldung musste sein, damit der Prozess ins Rollen kommen konnte. Die Meldung schrieb ich beim Aufenthalt in Luzern, wo ich noch alles genau wusste.

Heute möchte ich eigentlich nur wissen, ob die Meldung angekommen ist. Beim Versand war ich mir nicht sicher, ob es geklappt hatte. Die Tücken einer selten genutzten elektronischen Funktion auf der neuen LEA Cargo. Daher gehe ich heute zum Chef und Frage. Dann ist alles geklärt und die Fragen plagen mich am heutigen Tag nicht mehr. Ein Vorfall, der mir somit einen ganzen Haufen Sorgen bescherte. Keine Gesundheitlichen, aber die Anzeige musste raus, und damit musste ich schreiben.

Schön, der Chef ist hier und ich kann mit ihm sprechen. Die Meldung kam an und bereits ist eine Antwort vorhanden. Der Vorfall wurde der Polizei übergeben und von dieser nun als Straftat behandelt. Die Untersuchungen seien angelaufen und Ergebnisse gäbe es natürlich noch keine. Das ist mir klar, ich wollte ja nur wissen, ob die Meldung angekommen sei. Das ist sie somit auch und die operativen Schritte konnten eingeleitet werden. Nun erkundigt sich mein Chef noch nach dem gesundheitlichen Zustand.

Was weiter passieren wird, weiss niemand. Wird der Täter gefunden, oder nicht, reagiert die Politik endlich und erklärt solche Laserpointer zu Waffen? Schön wäre es, denn nicht immer hat man so viel Glück. Betroffen sind aber nicht nur wir Lokführer, sondern Fussballer und Piloten. Alles Menschen, denen man absichtlich, mit vollem Wissen, gesundheitlichen Schaden zufügen will. Für mich ist das Terrorismus in Reinform und kein Spass mehr. Die Angst fährt einfach mit.

Vermutlich ändert die Meinung zu den Waffen erst, wenn deswegen ein Verkehrsflugzeug abstürzt, ein Zug entgleist und viele Opfer zu beklagen sind. Aber wegen Piloten und Lokführer bewegt sich kein Politiker auf seinem Stuhl. Es soll jedoch bereits Firmen geben, die nach Lösungen für das Problem forschen. Es gibt noch Leute, die auch an die Gesundheit der Personen denken. Auch wenn man damit viel Geld erwirtschaften kann, ist es ein guter Weg.

Das ist so und ändern können wir es nicht, aber das Problem ist erkannt und die Laserattacken sind keine Seltenheit. Leider spricht sich herum, dass man damit weltberühmt werden kann. Klar, ein weltberühmter Terrorist, der nach meiner Meinung ein Leben lang in einer Zelle in einen Laser sehen darf. Dann und erst dann bemerkt auch ein so verblödetes Hirn, dass Laser nicht auf Augen gerichtet werden dürfen. Eigentlich steht es am Laser angeschrieben, aber lesen kann ja bekanntlich schon lange niemand mehr.

Für mich ist der Vorfall soweit erledigt. Die Angelegenheit wird behandelt. Einen Erfolg erwarte ich nicht. Die Täter sind leider schwer zu fassen, denn die Distanzen waren für mich zu gross um etwas erkennen zu können. Zudem suche ich nicht nach dem Täter, wenn ein Laser auf mich gerichtet wurde. Dann versuche ich nichts weniger, als meine Augen und damit mein Leben zu schützen. Blinde Lokführer finden nur schwer wieder Arbeit.

Damit verabschiede ich mich vom Chef und begebe mich wieder in die Räume, wo sich die Lokführer aufhalten. Ich suche nach meinem zugeteilten Zug. Wo mag er sein, denn ich muss in rund 10 Minuten beginnen. Ein Blick in das entsprechende Programm zeigt mir, dass er soeben in Brunnen ausgefahren ist. Es wird langsam Zeit, die LEA Cargo zu starten und mich auf den Arbeitstag vorzubereiten. Eine Tour am Tag steht an und führt nun ins Tessin. Hoffentlich blendet heute nur die Sonne.

 

Erstfeld – Göschenen

Bevor ich das Führerzimmer verlasse, starte ich die LEA Cargo. Das geht mit dem neuen Gerät wesentlich länger als mit dem alten. So muss man etwas Vorarbeit leisten um rechtzeitig bereit zu sein. Die Zeit, die das Gerät benötigt, nutze ich um nachzusehen, wie schwer mein zugeteilter Zug ist. Entscheidend ist dabei, ob ich eine Schiebelokomotive benötige oder nicht. Davon hängt die Gestaltung der Fahrt auf der ganzen Strecke ab.

Die neuen Programme, die wir dazu zur Verfügung haben, geben zwar Auskunft, aber ob diese Angaben stimmen, weiss man nie. Gerade dann, wenn dort 1‘600 Tonnen steht, ist Vorsicht angesagt, dann das ist das Standardgewicht in Deutschland und der Zug kann auch leichter sein. Die alten Systeme waren besser und dank einem Trick können wir sie noch nutzen. Dort sehe ich das genaue Gewicht und ich weiss, der Zug benötigt eine Schiebelokomotive.

So, die LEA Cargo ist gestartet, die Zugnummer eingestellt und wird wieder in der Mappe verstaut. Ich bin bereit um die Arbeit anzutreten. Noch schnell die Warnweste anziehen, die Mappe umhängen und dann kann ich den Raum verlassen. Die ersten Meter meiner heutigen Reise mache ich zu Fuss, denn ich muss ja zur Lokomotive gelangen und die ist normalerweise an der Spitze des Zuges. Ich mache mich daher auf den Weg.

Dieser Weg ist nun etwas weiter und allzu knapp sollte ich nicht losgehen, denn die Zeiten um zum Zug zu gelangen wurden gekürzt. Die Wegzeit, die wir benötigen, ist bezahlt und änderte nicht. Das heisst im vorliegenden Fall, dass ich eine bestimmte Zeit habe um von A nach B zu kommen. Wenn ich in B ankomme, ist der Zug da und ich kann einsteigen. Die Zeit um sich auf die Fahrt vorzubereiten wurde einfach gestrichen. LEA Cargo starten und sich mit der Sicherheitsausrüstung einzukleiden, erfolgt normalerweise in der Freizeit.

Auf dem Weg dorthin mache ich aber noch einen Halt bei der Vertretung der Firma mit den Automaten. Ich muss meinen Vorrat an Getränken auffüllen. Es ist ein schöner Tag und im Frühling ist es im Tessin schon recht warm, daher könnte ich durstig werden. Vor allem dann, wenn man noch für die winterlichen Zeiten des Nordens gerüstet ist. So ist es sinnvoll, wenn man genug zum Trinken bei sich hat. Besser zu viel, als zu wenig. Die Flasche findet in meiner Mappe noch einen fest zugeteilten Platz.

Danach gehe ich vorbei an einer Re 620, die hier im Unterhalt ist. Die Tafel mit dem Hinweis auf die Reparatur verrät das. Schliesslich folgen die historischen Lokomotiven, die um ein Exemplar reduziert wurden.

Die Be 4/6 geht wieder nach Hause ins Verkehrshaus und so gibt es etwas Platz für die üblichen Lokomotiven. Viel Zeit bleibt mir nicht um mich an den Lokomotiven zu erfreuen. Ich gehe deshalb direkt weiter und verlasse die Remise wieder. Der Weg führt nun durch das Gleisfeld ans südliche Ende des Bahnhofes.

Wie weit ich gehen muss, weiss ich nicht, denn ein Güterzug hält entweder am Gleisabschnittsignal oder, wenn er für das Gleis zu lange ist, weiter südlich vor den Ausfahrsignalen.

Daher muss ich neben den Unebenheiten im Gelände und den Zügen, auch das Signal im Auge behalten. Das Gleisabschnittsignal zeigt den Fahrbegriff 6 und ich erwarte den mir zugeteilten Zug. Ich muss daher etwas weiter gehen, als geplant ist. Daher setze ich meinen Spaziergang fort und käme so nach den neuen Zeitvorgaben zu spät bei der Lokomotive an.

An der Stelle, wo der Zug normalerweise anhält, warte ich nun, bis die Lokomotive hier ist. Ich war doch etwas zu früh losgegangen und der Zug ist noch nicht hier. Nur, was ist jetzt passiert? Der Zug hält vor dem Gleisabschnittsignal. In Gedanken frage ich mich über den Lokführer, der einfach dort hält, wo es besser zum Aussteigen ist. Erfreut bin ich im jetzigen Moment über den Kollegen, der mir den Zug bringt, nicht besonders.

So mache ich mich auf den Weg zurück zum Gleisabschnittsignal. Sinnloses im Gleisfeld herumirren, liebe ich nicht besonders. Moment, jetzt zieht er wieder vor! Kann sich der gute Mann auch einmal entscheiden, wo er anhalten will? Irgendwie fühle ich mich genervt, warum macht er nicht das, was er sollte? Moment, die Zwergsignale stehen ja auch nicht auf Fahrt? Was ist los? Habe ich geträumt, das Gleisabschnittsignal war offen, da bin ich mir sicher.

Endlich habe ich die Lokomotive erreicht. Ich frage, was denn los sei. Der Kollege meint, das habe ihn der Bahnhof auch gefragt. Dabei habe er nur das gemacht, was er müsse und habe vor dem roten Signal angehalten. „Was für ein rotes Signal?“ „Das Gleisabschnittsignal!“ Jetzt verstehe ich die Welt nicht mehr, ich habe doch mit eigenen Augen gesehen, dass es offen war. Der Kollege meint, dass der Bahnhof das auch so sah, nur er habe eine ganz normale Einfahrt auf dieses Signal gehabt.

Irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen. Der Kollege meint, dass ich noch mehr vorziehen müsse, um hinten auch der Schiebelokomotive noch den notwendigen Platz zu verschaffen. Der Zug benötigt schliesslich eine Schiebelokomotive. Wie schwer er ist, erkenne ich nach einem Blick auf die Belastung. 1‘589 Tonnen steht dort zu lesen. Die Angaben am PC stimmten daher sehr gut. Wenn es auch nicht genau passte. Die Zugreihe D ist nicht mehr so einschränkend, wie das vor Jahren noch der Fall war.

Auf jeden Fall ist es ein schwerer Zug. Das Zwergsignal vor mir öffnet sich und ich kann die letzten Meter vorziehen. Vorher frage ich aber beim Fahrdienstleiter nach. Am Funk erhalte ich dann den benötigten Auftrag und wir können einen Punkt klären, denn das Gleisabschnittsignal zeigte kurze Fahrt, da bin ich überzeugt. Trotzdem war es plötzlich wieder auf Halt. Eine Störung, die für die Lokführer grössere Probleme verursacht, als man meinen könnte.

Es war ein Glück, dass der Kollege nicht zu schnell gefahren kam und so noch vor dem Signal anhalten konnte. Die Ursache forsche ich nicht weiter nach, denn das kann eine simple Glühbirne gewesen sein, die einen Defekt hatte. Das Signal wechselte daraufhin auf die sichere Seite und das war nun einfach Halt. Der Fahrdienstleiter meint, dass es gut sei, die Schiebelokomotive habe nun genug Platz und ich könne wieder anhalten. Daher bremse ich mit dem Zug ab.

Nun baue ich die Funkverbindung mit der Schiebelokomotive auf. Dazu betätige ich eine Tastenfolge auf dem Gerät und richte eine Konferenz mit der Schiebelok ein. Der Kollege auf der Schiebelok meldet sich. Wir können die Bremsprobe machen. Auf die Anweisungen des Kollegen auf der Schiebelok bediene ich das Führerbremsventil. Die Handlungen kann ich auch machen, wenn ich die Daten bei meiner LEA Cargo an den Zug anpasse. Ich bediene die Bremsventile schon so lange, dass ich sie ohne hinsehen bedienen kann.

Die Bremse ist scheinbar gut, denn der Kollege meldet mir das. Er erkundigt sich, ob wir losfahren können. Ich bestätige, dass ich fahrbereit bin. Das stimmt sogar, denn soeben erschienen die korrekten Geschwindigkeiten auf meiner LEA Cargo. Die Abfahrt des Zuges kann nicht mehr lange dauern, denn der Fahrplan sieht das so vor und Probleme sollten keine mehr entstehen. Doch, sie entstehen, denn die Funkverbindung wird unterbrochen. Fabelhaft, zwei Funkgeräte, die bei der Konferenz Probleme haben.

Vor mir wird die Fahrstrasse eingestellt und das Signal öffnet sich. Als die Abfahrerlaubnis aufleuchtet, kann ich die ersten Stufen zuschalten und den schweren Zug strecken. Damit ich bei der Bergfahrt nicht lange auf eine Verbindung mit der Schiebelokomotive warten muss, baue ich die Konferenz auf. Das ist so vorgesehen und wurde auch so instruiert. Der Kollege auf der Schiebelok meldet sich. Gut, das wäre nicht vorgesehen, aber so erkläre ich ihm, dass wir über die schlankere Weichenverbindung losfahren.

Der Hörer wird aufgelegt und die Verbindung wieder unterbrochen. Ich lasse es wohl sein. Notfalls bremse ich den Zug an und sorge so dafür, dass auf der Schiebelokomotive die Bremsen ansprechen. Die Zugkraft auf der Schiebelok wird danach schlagartig ausgeschaltet. Dann habe ich den Effekt, den ich mit der direkten Funkverbindung wollte. Europäische Funksysteme sind scheinbar nicht unbedingt für den Gotthard entwickelt worden.

Die Steigung steht nun an und ich konnte den Zug gerade auf 30 Km/h beschleunigen, als ich mit den Lokomotiven den Gefällsbruch passierte. Noch ist aber nur ein kleiner Teil des Zuges in der Steigung. Die Schiebelokomotive arbeitet jedoch noch nicht mit, so dass ich deren Gewicht auch mitziehen muss. Der Zug ist dadurch noch einmal um ein paar Tonnen schwerer. Die Schiebelok beginnt erst mit der Arbeit, wenn sie die ablenkenden Weichen passiert hat.

Im Rückspiegel der Re 420 beobachte, wie die Wagen über die Weichen fahren. Der Zug ist mit unterschiedlichen Containern und Wechselbrücken beladen. Die Beladung ist gut, so dass das Gewicht durchaus stimmen kann. Es gibt jedoch ab und zu einen freien Verladeplatz. Dieser konnte vermutlich nicht beladen werden, weil einzelne Behälter zu schwer waren. Zwar können wir 1‘700 Tonnen über den Gotthard mitnehmen, aber die Wagen dürfen nicht überladen werden, so dass es leere Plätze gibt.

Noch reicht die Zugkraft aus um den Zug zu beschleunigen. Damit das möglichst schnell der Fall ist, ziehe ich mit der maximal erlaubten Zugkraft. Dadurch gewinnt der Zug langsam an Geschwindigkeit und wird schneller. Je mehr Gewicht jedoch in der Steigung ist, desto weniger kann davon am Geschwindigkeitsmesser erkannt werden. Eigentlich müsste ich jetzt mehr ziehen, aber das darf ich nicht, weil sonst die Kupplungen überlastet werden und reissen.

Von Beschleunigung kann nichts mehr erkannt werden. Im Gegensatz die Geschwindigkeit fällt leicht zusammen. Am Geräusch der Fahrmotoren erkenne ich, dass nun auch die Schiebelokomotive mit der Arbeit begonnen hat. Das Ohr arbeitet sehr fein und die geringste Veränderung des Geräusches wird wahrgenommen. Das lange bevor an der Anzeige der Geschwindigkeit eine Veränderung wahrgenommen werden kann.

Da nun der ganze Zug in der Steigung ist, muss die Zugkraft ausreichen um den Zug zu beschleunigen. In kleinen Schritten nimmt die Geschwindigkeit zu. Die Strecke ist hier besonders steil, so dass kaum Geschwindigkeit gewonnen wird. In wenigen Augenblicken folgt aber ein flaches Stück, dann kann beschleunigt werden. Der Gefällsbruch stellt aber ein Problem dar, so dass ich dort die Zugkraft sogar reduzieren muss, um die Kupplungen zu schonen.

Endlich, die erlaubte Geschwindigkeit ist erreicht und das Vorsignal zur Station Amsteg-Silenen erscheint in meinem Blickfeld. Die Farbe ist aber für mich in Ordnung und die Fahrt kann ungehindert weiter gehen. Jedoch stellt der Bahnhof ein erneutes Problem dar. Ich weiss nicht, wie der Kollege auf der Schiebelokomotive durch den Bahnhof fährt. Reduziere ich die Geschwindigkeit zu stark, fehlt sie in der anschliessenden Steigung. Umkehrt könnte der Zug zu schnell werden.

Nun, geglückt hat die Durchfahrt in Amsteg nicht gerade und ich musste die Zugkraft sehr stark reduzieren, damit mich die Schiebelokomotive nicht über die erlaubte Geschwindigkeit drückte. Diese Zugkraft fehlte in der Steigung und musste ergänzt werden. Das führte dazu, dass ich die erlaubte Geschwindigkeit nicht genau halten konnte. Der Zug muss jetzt in der Steigung beschleunigt werden. Für Gurtnellen weiss ich jetzt, wie der Kollege hinten arbeitet.

Wenn es geht, kontrolliere ich, ob der Zug in Ordnung ist. Besonders die Beladung und die Achsen interessieren mich dabei. Flattert eine Plane im Fahrtwind, oder fliegen Funken von einer Achse? Beides sollte auf der Bergfahrt nicht sein. Auch kann ich keine Rauchzeichen erkennen.

Der Zug ist in Ordnung und die Fahrt kann weiter gehen. Intschi ist mittlerweile ebenfalls passiert und es ist mir gelungen, die fehlende Geschwindigkeit wieder zu ergänzen. Es waren nur zwei Kilometer in der Stunde, die fehlten. Es war nicht leicht um auf die erlaubte Geschwindigkeit zu beschleunigen.

Die letzte Pfeiftafel auf der Gotthardstrecke erscheint und ich muss mit der Lokomotive ein Achtungssignal geben. Lange sollte das aber nicht mehr nötig sein, denn der Bahnübergang soll besser gesichert werden und dann verschwindet wieder ein Relikt aus den vergangenen Tagen.

Die letzte Pfeiftafel zwischen Basel und Chiasso wird so ebenfalls zur Geschichte. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich in meinem befahrenen Streckennetz nicht mehr viele solcher Tafeln. Aktuell fällt mir nur jene Mellingen ein.

Doch nun nähere ich mich Gurtnellen und einem erneuten Versuch, optimal durch den Bahnhof zu fahren. Aus den Erfahrungen weiss ich, dass ich nun eine andere Geschwindigkeit wählen muss um dann möglichst genau in die Steigung zu fahren. Ich weiss ja nun, wie der Kollege hinten auf der Lokomotive arbeitet und wie der Zug in den Bahnhöfen reagiert. Einzige unbekannte Tatsache in diesem Fall ist, Gurtnellen. Der Bahnhof ist etwas kürzer und daher wird der Zug nicht gleich reagieren.

Diesmal gelang es recht optimal und ich verlor kaum an Geschwindigkeit nach dem Bahnhof. Die Fahrt den Gotthard hoch kann so weiter gehen, ohne dass die Kupplungen zusätzlich und unnötig belastet werden. Gerade bei solchen Zügen stellt sie das schwächste Glied im ganzen Zugsverband dar. Nur eine schwache Kupplung im Zug oder eine Störung auf der Schiebelokomotive und es wird kritisch. Die Strecke hat ihre Tücken auch auf der Bergfahrt, obwohl diese als einfacher angesehen wird.

Ich entziehe mich dem Tageslicht, denn ich bin soeben in den Kehrtunnel gefahren. Im Pfaffensprung drehe ich den ersten vollen Kreis dieser Linie. In der Dunkelheit kann ich nun gut erkennen, ob auch wirklich alle Bremsen gelöst sind. Nur, die Kurve verhindert, dass ich mehr als die ersten paar Wagen erkennen kann. Nur, ich gehe davon aus, dass immer noch alles in Ordnung ist, denn die Zugkraft stimmt mit dem Gewicht überein. Die Fahrt verlangsamen muss ich daher nicht. Das Ist gut, denn ich ziehe mit hohen Zugkräften, jeder Ruck im Zug kann Probleme verursachen.

Nach all den Jahren weiss ich, wie sich so schwere Züge über den Gotthard führen lassen. Jetzt in der Steigung sind die erlaubten Stromwerte einzuhalten und die Beschleunigung in einem vorgegebenen Rahmen zu halten. Damit sollte es gehen, ohne dass es zu einer Zugtrennung kommt. Ich weiss aber auch, dass es nicht bei allen Zügen klappt. Der Pfaffensprung ist dann vielleicht die Rettung. Die trockene Strecke, die den Zug nach Göschenen bringt. Heute scheint jedoch die Sonne, so dass ich zumindest damit keine Probleme habe.

Nach dem Pfaffensprung folgt einer der seltenen geraden Abschnitten des Gotthards. Hier kann ich nun im Rückspiegel den Zug beobachten und auch die hinteren Wagen gut erkennen. Ausser, dass sie gut beladen sind, kann an den Wagen nichts erkennen. Am Zug ist alles in Ordnung. Zumindest ist das auf der rechten Seite so. Die linke Seite kommt in wenigen Minuten an die Reihe. Dann denke ich auch, dass ich die Schiebelokomotive erstmals zu sehen bekomme. Es wird auch das einzige Mal bleiben.

Die Schleife von Wattingen ist die Stelle. Jetzt kann ich wirklich den ganzen Zug beobachten. Ein Fotograf macht sich daran den Zug zu fotografieren. Ich habe jedoch kaum Zeit ihn zu beachten, denn der Zug verlangt meine Aufmerksamkeit. Ich glaubte, etwas gesehen zu haben.

Nein, es ist alles in Ordnung, war wohl eine Reflektion der Sonne. Diese Spiegelungen an verchromten Containern sorgen immer wieder für kurze Schreckmomente. Vorbei ist die Möglichkeit etwas zu erkennen, denn ich tauche in den nächsten Tunnel ein. Die Schiebelokomotive sah ich, es ist eine Re 420 oder Re 430, die schiebt.

Meine Aufmerksamkeit gilt wieder den Signalen, denn ich nähere mich Wassen. Der Bahnhof ist lange und ich muss die Geschwindigkeit stärker reduzieren, als das in Gurtnellen der Fall war. Vorausgesetzt, der Kollege auf der Schiebelokomotive verhält sich hier gleich, wie bei den bisherigen Bahnhöfen.

Wo der optimale Punkt liegt, ist bei jedem Zug etwas anders und muss herausgefunden werden. Man muss experimentieren und notfalls korrigierend eingreifen. Erst, wenn der Zug wieder in der Steigung ist, weiss man, wie es geklappt hat.

Beim Befahren der Station merke ich deutlich, wie die Schiebelokomotive nun den ganzen Zug schiebt. Der Kollege macht sich das Leben einfach und ich muss jetzt in der Steigung zusehen, dass ich den Zug wieder strecke und dabei nicht an Geschwindigkeit verliere. Einerseits sollte ich nun schnell zuschalten, andererseits, vertragen das die Kupplungen nicht besonders gut. Nun, ich bin daher wieder mit 73 Kilometer in der Stunde unterwegs. Es fehlt wieder ein kleiner Teil. Gelungen ist auch diese Durchfahrt nicht besonders gut.

Göschenen ist bald erreicht und so schalte ich die Fensterheizung ein. Diese benötigt etwas Zeit, bis sie optimal warm ist. Nötig ist das, weil es im Gotthard feucht und warm ist. Ohne Fensterheizung würden die Frontscheiben beschlagen. Der Scheibenwischer muss dann für klare Sicht sorgen und jeder Kollege, der entgegen kommt, erkennt das Missgeschick des Lokführers. Passiert ist mir das auch schon. Kein Mensch ist perfekt und so vergass ich das, was ich nun gemacht habe. Im Gotthardtunnel bemerkte ich es dann.

Längst habe ich die erlaubte Geschwindigkeit wieder erreicht, als ich die Rohrbachbrücke und anschliessend den letzten Tunnel der Steigung befahre. Göschenen steht nun an und dazu fallen mir nun zwei Punkte ein, die ich beachten muss. Ich habe keine Ahnung, wie der Zug bremst und weiss auch nicht, wann genau der Kollege mit der Schubkraft aufhört. Zwei Punkte, die die Einfahrt nicht erleichtern, aber die ebenfalls zur Routine gehören, wenn man den Gotthard hochfährt.

Als ich mich dem Ende des Tunnels nähere, baue ich wieder eine Funkverbindung zur Schiebelokomotive auf. Ich erwarte nun, dass ich ihr etwas mitteilen muss. Bisher war das nicht nötig. Die Zeit, bis das aber soweit sein wird, benötigt der Funk für den Aufbau der Verbindung. Schiebedienst scheint bei der Entwicklung der GSM-R-Funkes nicht vorgesehen zu sein. Die Bedienung ist kompliziert und es dauert lange, bis die Verbindung steht.

Das Vorsignal zur Einfahrt erscheint und ich melde der Schiebelokomotive über den Funk „Göschenen offen 60“. Die Antwort kommt und somit ist das erste Funkgespräch zwischen den beiden Lokomotiven seit Erstfeld auch schon abgehalten. Viel wird nicht gesprochen, denn wir konzentrieren uns auf die Fahrt und die Signale. Nun muss ich aber langsamer werden, denn Göschenen steht an. Daher reduziere ich die Zugkraft und der Zug verzögert. So erreiche ich die 60 km/h beim Einfahrsignal und bin so nicht zu schnell unterwegs.

Dabei quittiere ich die Zugsicherung. Das nächste Signal zeigt kurze Fahrt an. In Göschenen ist das die normale Einfahrt. Das führt sogar dazu, dass wir der Schiebelokomotive melden, dass Göschenen eine kurze Einfahrt hat, wenn das Gleisabschnittsignal geschlossen ist. Bei meinem Zug ist das jedoch nicht zu erwarten, denn mit den Lokomotiven ist er fast 600 Meter lang und da muss ich bis zum Ausfahrsignal fahren, sonst steht die Schiebelok nicht im Bahnhof. So genau wie möglich mit Bremsen, deren genaue Wirkung ich nicht kenne, keine leichte Aufgabe.

Jedem, der neue Vorschriften zur Erhöhung der Sicherheit machen will, dreht sich nun vermutlich der Magen um. Ich weiss, die vorgeschriebene Bremsprobe auf Wirkung habe ich nicht gemacht, aber seit Erstfeld konnte ich sie einfach nicht machen, ohne dass der Zug mit grossen Problemen den Gotthard hoch gekommen wäre. In einem solchen Fall fährt man etwas langsamer auf das Signal zu und bremst zeitig. Genau so habe ich es zumindest jetzt vor und so habe ich es gelernt. Ein wenig Vertrauen in die Technik kann nie schaden.

Ein Strich durch die Rechnung kann mir nur die Schiebelokomotive machen. Die Verzögerung erfolgt hier in erster Linie mit Hilfe der Schwerkraft. Die Bremsen benötige ich wirklich nur um anzuhalten. Diese Bremsung leite ich bei ca. 15 km/h ein und erwarte nun eine bestimmte Bremswirkung. Ich muss den Druck leicht korrigieren, aber der Zug verzögert und ich stehe drei oder vier Meter vor dem Signal. Gut, wenn ich es genauer betrachte, sind das Eisenbahnmeter und daher etwas mehr als 10 Meter, aber der Zug kam sicher vor dem Signal zum Stehen.

Nun heisst es warten. Warten, bis sich die Schiebelokomotive wieder meldet. Bis es soweit ist, lasse ich den Zug gebremst. Damit erleichtere ich die Arbeit des Kollegen auf der Schiebelok, denn er muss nun die Lokomotive abhängen. Das geht jedoch nur, wenn die Kupplung nicht gestreckt ist. Löse ich nun den Zug, kann aber genau das passieren und die Schiebelok kann nicht abgehängt werden. Diese Erfahrung machte ich auch schon auf ablenkenden Weichen.

Die Zeit scheint ewig zu dauern und ich nutze sie um zu sehen, wie ich zum Fahrplan stehe. Göschenen pünktlich erreicht! Der Aufenthalt ist länger. Vermutlich überholt mich nun der Interregio, der schon sehr nahe war, als ich angehalten habe. Ohne Schiebelokomotive hätte ich vor dem Zug zufahren können, aber die Schiebelok muss nun abgehängt werden und ich musste halten. Eine Flucht vor dem IR ist daher nicht mehr möglich.

Die Schiebelokomotive meldet sich am Funk. Sie ist abgehängt und der Kollege wünscht mir eine gute Fahrt. Ich bedanke mich für die Hilfe und verabschiede mich ebenfalls. Die Konferenz zwischen den beiden Lokomotiven, die nun gehalten hat, kann nun aufgelöst werden. Die restlichen Kilometer bis zu meinem Ziel kann ich alleine schaffen. Hilfe benötige ich nicht mehr, denn bergab, habe ich ja noch die Bremsen der Wagen, die nun gelöst werden. Der Zug wird im Bahnhof nur mit der Rangierbremse der Zuglokomotive gesichert. Auch in den starken Steigungen ist das der Fall, aber die sind nun Vergangenheit.

 

Göschenen - Bellinzona San Paolo

Es ist so, wie ich es vermutet habe, der Interregio überholte mich und als sich bei mir das Signal öffnete, war er noch nicht weit weg. Der Block ist sicher noch geschlossen, aber das macht mir keine Sorgen, denn zuerst muss ich in dessen Nähe kommen. Die Zugkraft wird aufgebaut, als ich den Fahrschalter in die entsprechende Position verbringe. Es geht wieder weiter und zugelassen sind aktuell 60 km/h. Die erreichte ich kaum innerhalb der nächsten Minuten, denn nun habe ich ja wieder das ganze Gewicht an meinen Lokomotiven.

Auch wenn wir beim Gotthardtunnel von einer flachen Strecke sprechen, die Steigung ist immer noch hoch genug, dass man mit einem solchen Zug nur sehr schwer an Geschwindigkeit zulegen kann. Es wird daher lange dauern, bis ich meine Reisegeschwindigkeit erreicht habe. Bevor ich aber richtig beschleunigen kann, empfiehlt es sich, wenn ich die Kupplungen strecke und so zu starke Zerrungen vermeide. Ein kluger Lokomotivführer schont seine Kupplung, hat mir der Ausbildner damals gesagt.

Auf jeden Fall wurde die ablenkende Weiche freigelegt und ich habe noch keine 60 km/h erreicht. Der Zug ist wirklich schwer und die Beschleunigung nicht gerade leicht. Güterzüge sind schwerfällig, daher verkehren sie am schnellsten, wenn sie zufahren können.

Leider ist das noch nicht allen Leuten bewusst. Auch zwei Lokomotiven an der Spitze benötigen lange um 1‘600 Tonnen zu beschleunigen, das beweist sich gerade. Nun wären aber 100 km/h erlaubt, ich kann daher weiter beschleunigen.

Der Interregio ist so natürlich über alle Berge und ich habe freie Fahrt. Irgendwann werde ich die erlaubten 100 km/h auch erreicht haben. Nur, zuerst ziele ich 85 an, denn noch ist der Bahnhof von Göschenen nicht verlassen.

Aber Sie ahnen es vermutlich schon, auch diesen Wert erreichte ich nicht rechtzeitig und die letzte Weiche ist Vergangenheit und ich hatte gerade 65 km/h erreicht. Letztlich zeigt nun mein Geschwindigkeitsmesser 100 km/h an, und ich habe soeben den Kilometer vier des Gotthardtunnels passiert.

Schwere Güterzüge sind nun mal keine Sprinter und daher sollte man sie rollen lassen, wenn sie einmal in Schwung sind. Die Energiekosten für eine solche Beschleunigung sind enorm hoch. Das wird sich auch mit der NEAT nicht ändern, denn auch dort sind die Züge schwer und die Beschleunigung gering. Im Gegenteil, es wird schlimmer werden, denn man will ja auch auf eine Lokomotive verzichten. Im Büro mag das Sinn machen, in der Praxis sieht es etwas anders aus.

Jetzt, wo ich rolle, kann ich die Geschwindigkeit mit geringen Zugkräften und daher mit geringem Energieverbrauch regulieren. Lokführer versuchen, wenn es irgendwie möglich ist, Energie zu sparen, aber oft spielt uns der Fahrplan einen Streich und dann steigt der Stromverbrauch massiv an. Diesmal war es die Schiebelokomotive, die wegen den Kupplungen und dem grossen Gewicht benötigt wurde. Andernorts ein rotes Signal das unerwartet angekündigt wird.

Mittlerweile nähere ich mich dem Kilometer sieben. Ich habe beinahe die Mitte des Tunnels erreicht und die Steigungen haben nun endlich ein Ende gefunden. Ich bin am höchsten Punkt der Strecke angelangt und befahre somit auch gleich die Sprachgrenze Deutsch/Italienisch. Ab jetzt sind für die Signale die Fahrdienstleiter im Tessin zuständig und Göschenen, als letzter Posten der deutschen Sprache nicht mehr erreichbar. Daher gilt hier italienisch als Sprache der Züge oder Treni, wie es ja korrekt heisst.

Wir mussten diese Sprache lernen, damit wir hier noch fahren dürfen und nun begrüsst uns das Stationspersonal immer öfters auf Deutsch. Eine umgekehrte Welt, denn beide sprechen in einer Fremdsprache. Nur, wer auf den Bahnhöfen hier arbeiten und später eine Anstellung im CER Polleggio finden will, bemüht sich, die verlangten guten Kenntnisse in deutscher Sprache zu erlangen. Dazu sind die Lokführer von Erstfeld gerade recht. Aber noch hat niemand aus dem Tessin mit mir gefunkt. Ich hoffe, dass das auch noch eine Weile so bleiben wird.

Vorerst ändert sich für mich nur, dass ich die Zugkraft reduzieren kann. Im Gefälle benötige ich davon nicht so viel. Die Neigung in Richtung Airolo ist nicht so gross, dass der Zug nur durch die Schwerkraft bewegt wird. Ich muss daher noch etwas Zugkraft aufbauen um nicht an Geschwindigkeit zu verlieren. Vorerst kann ich so zufahren, aber langsam muss ich mich auf die Talfahrt im starken Gefälle vorbereiten. Dazu gehören neben der mentalen Einstellung auch einige Prüfungen.

Drei Kilometer vor dem Ende des Tunnels leite ich eine Bremsung mit der pneumatischen Bremse ein. Damit beginnen die Wagen nun zu bremsen. Die Lokomotive jedoch nicht. Anhand der Angaben auf der Belastung weiss ich, welches Bremsverhältnis der Zug hat und wie viele Wagen mit Bremssohlen aus Kunststoff ausgerüstet sind. Leider weiss ich nicht, wie viele Wagen ich total habe und daher ist die Zahl der Wagen etwas abstrakt und wenig aussagekräftig.

Aus diesen Angaben berechne ich eine bestimmte Bremswirkung, die auf den Erfahrungen aufbaut. Diese Bremswirkung sollte nun eintreten und so bestätigen, dass die Bremsen korrekt funktionieren. Ist das nicht der Fall, muss ich eine Schnellbremsung einleiten und hoffen, dass ich in Airolo notfalls noch abspringen kann. Gedanken, die bei der Einleitung der Bremsung immer wieder aufkommen und die nicht bestätigt werden.

Die erwartete Wirkung tritt ein und ich löse den Zug wieder in der Fahrstellung. Er bremst für den grossen Anteil an Bremssohlen aus Kunststoff überraschend gut. Nun will ich wissen, wie er sich beim Lösen verhält. Offiziell gehört das nicht zur Bremsprobe auf Wirkung, aber ich mache es so, weil ich dadurch auch Rückschlüsse für die Talfahrt ziehen kann. Löst der Zug nun schlecht, wird sich das im Gefälle kaum ändern. Umgekehrt natürlich auch. Das hat Einflüsse auf die Bremsungen und somit auf die Fahrweise.

Auch hier kann ich über den Zug nicht klagen. Es wird nun Zeit, auch die Lokomotiven zu prüfen. Die Wagen lassen bereits eine Talfahrt zu. Da die Lokomotiven bei der Prüfung nicht mitbremsten, habe ich von ihnen keine Hinweise. Die Lokomotiven müssen daher ebenfalls kontrolliert werden. Da sie jedoch mit der elektrischen Bremse arbeiten werden, wird jetzt auch diese Bremse geprüft. Die pneumatische Bremse der Lokomotive ist jetzt nebensächlich.

Auch hier kann ich die erlaubte Bremswirkung erzeugen. Der Talfahrt steht nichts mehr im Weg. Durch die Prüfungen der Bremsen hat sich die Geschwindigkeit des Zuges reduziert. Ergänzen werde ich sie nicht mehr, denn ich nähere mich Airolo und somit dem Ende des Tunnels. Danach folgt dann das starke Gefälle. Eine grössere Belastung für die Bremsen, als sie nun meinem Zug bevorsteht, gibt es in Europa so schnell nicht wieder. Die Südrampe des Gotthards steht an.

Nicht aus Spass steht an den Instrumenten der Bremsstrom für 45 Minuten. Genau diese Zeit habe ich zur Verfügung um nach Bodio zu kommen. Viele Reserven gibt es da nicht und ich muss zusehen, dass ich die Zeit einhalten kann. Dabei darf natürlich die Sicherheit nicht vernachlässigt werden. Dazu gehören nun die Bremsen, denn die sind das einzige, was den Zug in diesem Gefälle anhalten kann. Es gibt keine andere Möglichkeit.

Damit ich nicht gleich nach dem Bahnhof Airolo in die Eisen steigen muss, schalte ich die elektrische Bremse frühzeitig auf. Ich habe soeben den Gotthard verlassen und die Tessiner Sonne blendet meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen etwas.

Dank der Bremskraft mit der elektrischen Bremse verzögert mein Zug und ich verlasse den Bahnhof mit 55 km/h. Er wird nun schneller werden. Irgendwann kommt dann der Zeitpunkt, wo ich ihn abfangen muss. Je später das ist, desto weniger erwärmt werden die Bremsen der Wagen.

Weit kam ich nicht und ich habe bald die erlaubten 75 km/h erreicht. Es wird Zeit, dass ich den Zug mit der pneumatischen Bremse abfange. Daher leite ich eine Bremsung ein.

Die Geschwindigkeit steigt im ersten Moment noch an, doch dann wirken die Bremsen und der Zug verzögert. Vorerst muss ich nichts ändern, denn die Signale für den Spurwechsel sind grün. Die Geschwindigkeit sinkt und bei 50 km/h löse ich wieder. Nun sollte ich mindestens 90 Sekunden nicht mehr bremsen.

Bei dieser ersten Bremsung nimmt man einen Erfahrungswert an. Daher blicke ich auf die Uhr und rechne aus, wann ich wieder zum Bremsventil greifen sollte. Jetzt heisst es warten und beobachten, was die Geschwindigkeit macht. Bei 40 km/h sinkt sie nicht mehr weiter. Die Bremsen der Wagen haben sich soweit gelöst, dass der Zug nicht mehr verzögert wird. Jetzt wird dann gleich die Geschwindigkeit wieder ansteigen. Die Uhr bleibt indes nicht stehen und so verrinnt die Zeit, die ich benötige.

Es dauerte fast zwei Minuten, bis ich wieder zum Bremsventil greifen musste. In anbetracht der Länge und der Tatsache, dass mein Zug nach 90 Sekunden wohl noch nicht optimal gefüllt war, ändere ich an der Bremsung nichts. Gerade die neuen Bremssohlen verlangen eine etwas andere Fahrweise. Nur, wie sich die Angelegenheit entwickeln wird, weiss ich erst, wenn ich Bodio erreicht habe. Jetzt gleich zu Beginn ist alles noch frisch und arbeitet optimal. Das gilt auch für den Lokführer.

Nach Ambri-Piotta kann ich den Zug nun mit der elektrischen Bremse zurückhalten. Beim Blick in die LEA Cargo kann ich erkennen, dass ich die Fahrzeit zwischen den beiden Bahnhöfen recht gut halten konnte. So gesehen gibt es keinen Grund an der Bremsmethode etwas zu ändern. Das beruhigt, denn wenn man bis jetzt noch nicht genau weiss, wie der Zug reagiert, wird es nach Rodi-Fiesso schwer die optimale Fahrweise zu finden. Es gibt Tage, wo es nicht gelingen will. Ich kenne das zu gut.

Als ich mich Rodi-Fiesso nähere, schalte ich die elektrische Bremse wieder voll zu. Der Zug verzögert nun. Ich hoffe so den kurzen steilen Abschnitt vor dem Bahnhof ohne die Hilfe der Luftbremse zu befahren. Das gelingt mir gut, denn als ich mit den Lokomotiven in den Bahnhof fahre, zeigt die Anzeige 70 km/h an. Noch wird der Zug etwas beschleunigen, aber nicht so viel, dass ich zu schnell würde. Hier spielt Erfahrung mit. Die Station wird der Zug wieder verzögern, so dass ich noch etwas zuwarten kann, bis ich wieder bremsen muss.

Nun, auf der weiteren Talfahrt ging es immer etwas schneller und langsamer bergab. Die Stationen Faido und Lavorgo habe ich bereits passiert und noch liege ich gut in der Zeit. Zwar habe ich etwas vom Vorsprung verloren, aber der Verlust bewegte sich nur im Bereich von wenigen Sekunden. Somit ist alles noch in Ordnung. Wenn es so weiter geht, sollte ich mein Ziel pünktlich erreichen können. Noch sind aber ein paar Kilometer Weg zu fahren und es gibt viele Signale, die mir einen Strich durch die Rechnung machen können.

Nach dem letzten Kehrtunnel kommt die Stunde der Wahrheit. Die ZKE-Messanlage erscheint. Ich kontrolliere den Zug optisch und die Anlage misst die Temperaturen. So wie ich das sehe, ist am Zug alles in Ordnung. Ich sehe keine rauchenden Wagen oder Funken, die vom Zug wegfliegen. Ich finde, die Anlage sollte eigentlich nichts finden, aber man weiss ja nie, ich stand auch schon, weil die Bremssohlen gemessen wurden. Auch die Technik funktioniert nicht immer optimal und so macht es Sinn, wenn wir den Zug von Zeit zu Zeit kontrollieren.

Jetzt beginnt der steilste Abschnitt dieser Fahrt. Die Strecke hat hier ein Gefälle von 27‰. Offiziell steht das nirgends, aber der Neigungszeiger, den ich soeben passierte, behauptete das. Das könnte einen Einfluss auf meine Bremsen haben. Der Zug beschleunigt etwas schneller, wegen dem leicht höheren Gefälle. Ergänzend kommt hinzu, dass die elektrische Bremse nun seit bald 40 Minuten arbeitet und die erwärmten Bauteile nicht mehr mit der optimalen Leistung arbeiten.

Auch die Bremsen der Wagen sind erwärmt. Das ist normal und daher beschliesse ich, dass ich wohl etwas weiter reduzieren werde. So sollte auch dieser Abschnitt kein grosses Problem ergeben. Zudem bin ich kurz vor Bodio und danach können sich die Bremsen wieder etwas erholen, das starke Gefälle ist vorbei. Noch besteht jedoch kein Grund zur Euphorie, denn es gibt noch Signale, die eine zusätzliche Bremsung verlangen. Gut, es ist noch eins, denn das Blocksignal ist grün.

Meine Erwartungen wurden erfüllt, denn der Zug drückte etwas schneller. Bei der Bremsung merkte ich das an der Tatsache, dass die Geschwindigkeit kurz auf 76 km/h angestiegen war. Die etwas schlechtere Bremswirkung und das nur unwesentlich höhere Gefälle führten dazu. Daher bremse ich nun auf eine tiefere Geschwindigkeit. So sollte ich diesen Abschnitt ohne weitere Bremsung passieren können. Kurz vor Bodio wäre dann eine weitere und sogleich die letzte Bremsung nötig.

Jetzt heisst es aber kräftig Bremsen, denn genau das Einfahrsignal von Bodio macht die Ausnahme. „Bodio zu“ schiesst mir durch den Kopf. Gleichzeitig bremse ich den Zug, da ich schnell bin und so oder so wieder eine normale Bremsung hätte machen müssen, ist die Vollbremse angesagt. Da der Zug lang ist, übersteuere ich die Bremsen etwas. Das heisst, ich verbringe das Führerbremsventil kurz in die Schnellbremsstellung. So reduziert sich die Ansprechzeit der Bremsen etwas. Jeder Meter, den ich früher mit der Verzögerung beginne ist nun Gold wert.

Mein Puls beruhigt sich wieder, als ich vor dem Einfahrsignal stehe. Bremsungen auf Signale im starken Gefälle sind nie leicht und immer etwas aufregend. Das musste schon mancher Lokführer erfahren, der hier die ersten Fahrten absolvierte und dann nach dem roten Signal stand. Hinzu kommen dann genau diese Signale, die überraschend gut versteckt wurden. Auch nach Jahren steigt daher bei schweren Güterzügen der Puls schnell an, wenn zwei orange Lichter auf gleicher Höhe erscheinen.

Das Einfahrsignal ist immer noch rot und eine Weiterfahrt ist nicht möglich. Mit dem Blick in die LEA Cargo erkenne ich, dass ich in zwei Minuten durch den Bahnhof fahren sollte. Das wird wohl nicht mehr möglich sein. Nur, meine Schuld ist es nicht, die Signale verhinderten das und so erhält der Zug doch noch Verspätung. Eigentlich das, was ich verhindern wollte, aber wenn die Signale rot sind, kann ich bestenfalls einen Handstand versuchen, pünktlich werde ich aber so auch nicht. Es heisst warten.

Drei Minuten, nachdem ich angehalten habe, muss ich den Fahrdienstleiter fragen. Diese Vorschrift besteht und das werde ich auch gleich machen. Dann habe ich die Information und weiss, warum das Signal rot ist. Sicher bin ich mir nicht, aber in Bodio wird gebaut, das könnte der Grund sein. Ein ICN kommt in langsamer Fahrt entgegen. Aha, wird wohl Einspur sein! So ist es, denn das Signal geht auf Fahrt und auch gleich die Ausfahrt. Es kam ein Gegenzug.

Ich verbringe das Führerbremsventil, das bisher auf der ersten Bremsstufe stand, in die Fahrstellung. Nun habe ich einen Konflikt mit den Vorschriften. Ich muss den Zug in der Fahrstellung lösen, da es sonst zu einer Zugstrennung kommen könnte.

Jedoch verlangen die Vorschriften auch, dass ich am Ende des starken Gefälles einen Hochdruckfüllstoss gebe. Beides widerspricht sich. Da ich nicht den Zug ablaufen will, entscheide ich mich für die Fahrstellung. Die Bremsen müssen auch so korrekt lösen.

Der Zug benötigt Zeit, bis er endlich zu rollen beginnt. Die Bremsen sind gelöst. Jetzt könnte ich ja den Hochdruckfüllstoss geben, aber bei einem gelösten Zug darf er nicht ausgelöst werden, da sonst Bremsstörungen entstehen könnten.

Vorschriften können nie sämtliche Situationen abdecken. Daher ist es wichtig, dass gut ausgebildetes Personal arbeitet. Das weiss, wieso etwas nicht gemacht werden sollte und welche Vorschrift besser umgangen werden kann. Hier wäre der Hochdruckfüllstoss die falsche Lösung gewesen.

Im Bahnhof Bodio habe ich eine Minute Verspätung. Nicht viel, aber genau diese Minute könnte mir einen ungewollten Halt bescheren. Noch sind aber die Signale grün. Ich darf nach dem Bahnhof nur mit 80 km/h fahren, da ich nach Zugreihe D verkehre.

Früher war das üblich, aber mittlerweile sind auch diese Züge schneller unterwegs. Scheinbar müssen die Schienen angepasst werden, damit das geht. Warum es hier noch nicht gemacht wurde, weiss ich nicht. Ich fahre das, was ich darf.

Es ist der einzige Abschnitt meiner Fahrt, der nicht mit 100 km/h befahren werden darf. Gerade diese Einschränkung wird mich bei den Südportalen des Basistunnels noch einige Gedanken beschweren. Das wird bald der Fall sein. Zuerst steigt jetzt die Strecke stark an, um sogleich wieder stark zu fallen. Für die Kupplungen ist das eine grosse Belastung, denn auf der Kuppe, zieht auf beiden Seiten das Gewicht des Zuges und das sind mit den Lokomotiven rund 1‘800 Tonnen. Für die Kupplungen gelten bei solchen Steigungen 1‘300 Tonnen als Maximum.

Damit ich die Belastung für die Kupplungen etwas entschärfen kann, schalte ich die elektrische Bremse auf. Damit verringere ich das Gewicht, das im Gefälle nach der Kuppe zieht. Die Kupplungen werden so etwas entlastet. Zudem verhindere ich so, dass ich zur pneumatischen Bremse greifen muss, um die Geschwindigkeit zu halten. Gerade diese Bremsung könnte dann für die Kupplung zu viel sein. Wenn man Probleme verhindern kann, sollte man nach Möglichkeit darauf achten, das auch zu tun.

Wie ich es vermutet habe, lange dauert die Fahrt nicht, denn in Biasca ist die Einfahrt nur mit 40 km/h möglich. Ich werde wohl anhalten müssen. Erstens denke ich, dass dafür der Fahrplan schuld ist, denn in Biasca fährt in wenigen Minuten die S-Bahn los, hinter mir hat sich der Neigezug aus dem Norden angeschlichen. Bis Bellinzona geht mir zwischen den beiden Zügen einfach die Luft aus. Ein Güterzug muss dann notgedrungen in einem Bahnhof warten.

Zweitens, könnte es aber auch eine Bremsstörung sein. Das schwere Gewicht, die starken Bremsungen, alles Punkte, die schnell zu Problemen führen können. Hier in Biasca ist dann meistens die Stunde der Wahrheit. Der Zug wird angehalten und dann muss man nachsehen, warum die Bremse zu heiss wurde. Das dauert seine Zeit und die Verspätung würde massiv ansteigen. Ich denke es ist der Fahrplan, denn optisch habe ich nichts erkennen können und das ist meistens ein guter Anhaltspunkt.

Als ich einfahre, fährt die S-Bahn gerade los. Soweit ist mein Verdacht richtig. Ich passte nicht mehr in den Fahrplan und dem Fahrdienstleiter fehlte der Mut. Es ist eng in der Schweiz und so reicht eine Minute Abweichung schon aus, dass der Zug nicht mehr in den Fahrplan passt. So werde ich Bellinzona nicht mehr pünktlich erreichen. Aber noch nicht vom Tisch ist die Bremsstörung. Ich halte vor dem roten Ausfahrsignal an und gebe nun den Hochdruckfüllstoss, der eigentlich in Bodio erfolgen sollte.

Drei Minuten später erfuhr ich es, der Neigezug überholt mich. Die Bremsen waren bei der Kontrolle somit in Ordnung und der Zug könnte daher ungehindert weiter fahren. Nur eben, die Neigezüge sind schnell und holen daher auch schnell auf. Dann muss man raus und den schnellen Zug vorlassen. Wenn das mit den S-Bahnen auch bei den Güterzügen so gemacht würde. Viele Verspätungen können eingeholt werden. Der Güterverkehr würde zudem beschleunigt.

Aha, das Ausfahrsignal für den ICN geht auf Fahrt. Danach wird es wohl für mich weiter gehen. Weiter beachte ich die Situation nicht und so warte ich, bis der Zug vorbeifährt. Das dauert schon noch ein paar Minuten, so dass ich Zeit habe um in der LEA Cargo nachzusehen, wie lange meine Pause denn genau ist. 26 Minuten mitten am Nachmittag, da wird es nicht für eine Mahlzeit reichen. Gut, vielleicht ist der Zug von Luino her auch zu spät. Nur meistens ist er genau dann vorzeitig unterwegs.

Es rauscht und der Neigezug brettert an mir vorbei. Danach dauert es nicht lange und ich kann meine Fahrt ebenfalls wieder fortsetzen. Zuerst darf ich jedoch nur mit 40 km/h fahren, da die Weiche vor mir keine höhere Geschwindigkeit zulässt. Diesmal sollte ich wirklich darauf achten, dass ich nicht zu schnell werde, denn die Strecke fällt leicht ab und so beschleunigt der Zug schneller als bei den anderen beiden Anfahrten. Die Kenntnisse der Strecke sind wichtig und erleichtern die Arbeit.

Die Länge des Zuges kann ich anhand der Kilometrierung gut abschätzen. So weiss ich genau, wann der letzte Wagen die ablenkenden Weichen befahren hat und ich beschleunigen kann. Die Strecke lässt nun eine Geschwindigkeit von 100 km/h zu. Da der Neigezug schneller fahren kann, ist er über alle Berge und ich habe freie Fahrt. Daher versuche ich so schnell wie möglich auf die erlaubte Geschwindigkeit zu kommen. Schliesslich bin ich zu spät unterwegs und sollte diese Verspätung wieder aufholen.

Ich nähere mich aber bereits der Fahrleitungsschutzstrecke. Diese muss ich mit gesenkten Stromabnehmern befahren. Hier haben die Bauarbeiten für die NEAT begonnen. Ich befinde mich also an dem Punkt, wo die neue Strecke abzweigen wird. In einigen Jahren werden die Züge hier in Richtung Basistunnel fahren und Biasca wird kaum mehr einen internationalen Neigezug zu sehen bekommen. Auch diese Station wird von der neuen Strecke umfahren. So schlimm ist es hier nicht, denn das Depot wurde vor Jahren aufgegeben.

Nach der Fahrleitungsschutzstrecke schalte ich die Lokomotive wieder ein. Zugkraft schalte ich jedoch keine zu, denn mein Zug fährt ganz knapp unter der erlaubten Geschwindigkeit. Ich sollte den Zug eigentlich rollen lassen können. Grosse Eile an den Tag legen sollte ich zwar wegen dem Rückstand, aber ich kenne den Fahrplan und weiss, dass in Castione-Arbedo die S-Bahn losfahren wird und ich so Distanz erhalten werde.

Daher lasse ich jetzt die Schwerkraft arbeiten. Die Fahrt wird so kostengünstig und es wird kaum elektrische Energie benötigt. Diese Fahrweise wird uns nun mit viel Aufwand geschult. Die Tricks für diese Fahrten lernte ich aber schon in der Ausbildung, so dass die energiesparende Fahrweise kaum von dem abweicht, was ich täglich mache. Die Lokomotive benötigt aber etwas Energie für die Ventilation und die Batterieladung. Aber das ist nur ein kleiner Teil.

Als ich Claro verlasse, habe ich zwar etwas an Geschwindigkeit eingebüsst, aber das ist nicht schlimm. Schlimmer sind die Signale vor mir, denn diese kündigen eine reduzierte Geschwindigkeit an. Ich nähere mich Castione-Arbedo und die Ausfahrt ist noch geschlossen, denn diese Signalbilder dienen der Reduktion der Geschwindigkeit. Wobei ich natürlich nicht 130 km/h fahren darf. Trotzdem schalte ich nun die elektrische Bremse mit voller Leistung zu. So beginnt der Zug langsam zu verzögern.

Die erlaubte Geschwindigkeit wird weiter reduziert. Ich kann die elektrische Bremse eingeschaltet lassen und bleibe so unter den erlaubten Werten. Ich habe den grössten Teil der Bewegungsenergie mit Hilfe der elektrischen Bremse abgebaut und so muss ich jetzt, wo ich auf das Warnung zeigende Signal treffe nicht mehr so stark mit der pneumatischen Bremse verzögern. Die S-Bahn hat soeben den Bahnhof verlassen. Ich verzögere auf eine tiefe Geschwindigkeit. Eventuell muss ich dadurch nicht mehr anhalten.

So ist es, ich kann den Zug wieder beschleunigen. Nur zu schnell werde ich nicht mehr, denn ich nähere mich meinem Ziel. Bellinzona San Paolo. Das ist der Rangierbahnhof, wo dem Zug eine Lokomotive vorgespannt wird, die auch in Italien verkehren kann. Die Re 10, die den Zug über die Alpen brachte, wird nun nicht mehr benötigt. Daher muss ich anhalten. Das hätte ich auch sonst gemacht, denn ich habe mein Ziel erreicht. Die Einfahrt steht nun an und ich muss die elektrische Bremse stark reduzieren, weil ich über ablenkende Weichen einfahre.

Der Halt in Bellinzona erfolgt vor dem roten Signal. Nun habe ich mein Ziel erreicht. Der Rückstand beträgt 15 Minuten und der Zug sollte bereits wieder losfahren. Eine Minute hat nun Folgen für die weitere Fahrt. Schuld daran hat die Infrastruktur, denn die Bauarbeiten hinderten mich daran. Letztlich ist aber auch ein grosser Teil meiner Pause schon in Gefahr. Nur, zuerst muss die Lokomotive abgehängt und ein Parkplatz gesucht werden. Erst dann habe ich eine kurze Pause.

 

Auf dem Weg zum Parkplatz

Es kommt sogar ein Rangierarbeiter um die Lokomotive abzuhängen. Damit erübrigt sich für mich die Sache mit dem sichern des Zuges. Wobei ich schwer annehme, dass die Re 484, die in der Ferne bereit steht, diesen Zug übernehmen wird. Nachdem der Rangierarbeiter bei meinem Führerstand eingetroffen ist, übergebe ich ihm die Papiere des Zuges. Dabei behalte ich nur den Teil, den ich benötige und das ist nicht viel.

Die Belastung, die mein Kollege bei der Abfahrt erhalten hat, behalte ich und stecke sie in das Leistungscouvert. Dann sind die wichtigsten Eckdaten des Zuges vorhanden. Das kann nützlich sein, wenn etwelche Anfragen zur Fahrt des Zuges kommen. Als Beispiel könnte die Frage kommen, warum ich denn zwischen Bodio und Biasca langsamer war, als sonst. In den abgelegten Daten sieht man dann, dass dies auf Grund der Tatsache erfolgte, dass nicht mehr zugelassen war.

Die LEA Cargo ist bereits in der Mappe verschwunden und ich kann nun vom Zug wegfahren. Noch verhindern das jedoch die Zwergsignale, die noch keine Fahrt zulassen. Ich muss daher dem Fahrdienstleiter mitteilen, dass die Lokomotive abgehängt wurde und wo ich mit ihr hin will. Eigentlich will ich an den Zug, den ich nach Hause fahre, aber dann stehe ich irgendwo in einem Gleis und bin von einem Kaffee weit entfernt. Daher fahre ich mit der Lokomotive ins Abstellgeleise für die Re 10, die international zugeteilt wurden.

Bei der Einfahrt habe ich gesehen, dass dort bereits zwei Re 10 abgestellt sind. Eine davon war eingeschaltet und übernimmt wohl den Zug, der gerade von Luino her, in den Bahnhof gefahren ist. Damit steht nur noch eine Re 10 im Weg, aber die übernimmt ebenfalls einen Zug, so dass ich, wie geplant, wieder die Lokomotiven nehmen kann, die ich jetzt bediene. Der Fahrdienstleiter meldet sich endlich am Funk. Ich gebe meinen Wunsch bekannt und beende das Gespräch wieder.

Vor mir erkenne ich, dass das Zwergsignal seine Meinung geändert hat und ich vom Zug wegfahren kann. Die Fahrt führt nun in ein Gleis, wo ich den Führerstand wechseln kann. Dann ist der Weg für die Re 484 frei und sie kann an den Zug fahren. Die Geschwindigkeit liegt nun bei 30 km/h. Es gäbe Ausnahmen, die 40 km/h erlauben würden, aber die sind hier nicht erfüllt und auch mit 30 km/h ist man schon schnell genug unterwegs. Besonders dann, wenn es um Ecken geht und man nicht genau weiss, wo es hin geht.

Nun, letztlich stand ich mit meinen Lokomotiven beinahe da, wo wir sie früher abstellten, im Depot von Bellinzona. Nur, jetzt ist hier nicht Schluss und ich muss nun den Führerstand wechseln, damit ich in die andere Richtung fahren kann. Nachdem ich die Lokomotiven ausgeschaltet habe, verlasse ich den Führerstand. Die Griffstangen reinige ich dabei gleich mit. Den Weg auf die andere Seite der Lokomotiven nutze ich, um die Laufwerke auf einer Seite zu kontrollieren.

So habe ich diese Seite bereits erledigt und gewinne etwas Zeit beim Abstellen der Lokomotive. Ich habe die Lokomotive gerade eingeschaltet, als sich das Zwergsignal vor mir öffnet. Noch muss ich die notwendigen Kontrollen und Prüfungen machen. Erst dann fahre ich los. Die Zeit muss man mir geben, auch wenn das der Fahrplan beinahe nicht mehr zulässt. Die Kürzungen der Zeiten wirken sich bei kleinen Problemen schon mit Verspätungen aus, die dann der Lokführer wieder einholen muss.

Gut, ein Zug, der vorzeitig fährt ist eine unnötige Überproduktion. Wie das zu verstehen ist, weiss ich nicht, denn die Fahrpläne sind so aufgebaut, dass wir plötzlich 30 Minuten vorzeitig verkehren. Müssen wir dann anhalten und warten, bis die Zeit so weit ist um nicht unnötig Geld zu verschleudern? Nein, die Folge dieser Idee waren kürzere Zeiten bei der Bereitstellung. Wie sich das auswirkt, ist bei dieser Tour klar ersichtlich und vermutlich nicht der Idee entsprechend.

Eigentlich hätte meine Pause nun begonnen, aber mit der Lok bin ich noch nicht beim Parkplatz angekommen. Auch das Zwergsignal vor mir lässt nur eine Fahrt bis zum nächsten Zwergsignal zu. Dort werde ich so oder so warten müssen, bis die Reisezüge durch sind. Dann kann ich die Hauptgeleise überqueren und so zum Parkplatz gelangen. Die Folgen sind klar, was ich später in die Pause komme, gehe ich später auf die Lokomotive, denn kürzer darf meine Pause kaum mehr sein und die Gesetze müssen befolgt werden.

Zuerst fährt ein ICN in Richtung Norden, dann folgen die erste und dann die zweite S-Bahn. Jetzt gibt es auch etwas Platz für mich. Die Weiche wird umgestellt und das Zwergsignal lässt meine Weiterfahrt zu. Ich kann nun endlich zum Parkplatz fahren und die Lokomotive dort abstellen. Sie wird dann dort auf mich warten. Die Anlage kenne ich gut, so dass ich schnell weiss, ob ich auf dem richtigen Weg bin. So gelange ich in das gewünschte Gleis, das mitten im Rangierbahnhof liegt.

Die abschliessenden Endkontrollen können beginnen. Da die Re 10, die noch hier steht, bereits eingeschaltet wurde, ist klar, ich werde wohl mit dieser Re 10 nach Norden fahren. Nur, die Mappe lasse ich ungern auf der Lokomotive zurück, denn schnell kann sich die Meinung der Planer ändern und mein Gepäck landet dann in Domodossola, wobei ich dann natürlich nicht dabei bin. Die Kontrollen benötigen auch etwas Zeit, die ich eigentlich nicht mehr habe, denn meine Pause begann vor 10 Minuten.

 

Endlich Pause

Ich kann von den Lokomotiven weggehen und mich zum Kaffeeautomat begeben. Hier im Tessin ist der Weg eigentlich kurz, denn das Gebäude ist von meinem Standplatz geschätzte 50 Meter entfernt. Wir müssen jedoch um die im Bahnhof abgestellten Fahrzeuge gehen, was den Weg durchaus auf den 10fachen Wert verlängert. Das verkürzt natürlich die Pause, die eigentlich in 15 Minuten bereits wieder fertig ist. Zudem will ich nicht nur einen Kaffee, sondern auch das WC besuchen.

Das Unternehmen spart bei den Zeiten des Personals und hofft, dass dieses auf Pausen verzichtet und die Züge pünktlich losfahren. Gut, ich habe nur eine Arbeitsunterbrechung und die kann eingeteilt werden, wo man will. Das heisst hier mitten im Rangierbahnhof. Nur, sie dauert mindestens 20 Minuten. Das reicht für den Besuch des stillen Örtchens und einem Kaffee, der natürlich nicht am Tisch getrunken werden kann, weil die Zeit dazu nicht mehr reicht.

Meine Blase meldet sich auch bei der Arbeit und ich möchte meine Notdurft auch einmal in einem dazu vorgesehenen Ort verrichten. Sechs Stunden arbeitet niemand ohne einen Besuch der Toilette. Das ist nicht unbedingt eine gute Lösung und soll zudem nicht gesund sein. Nur, Lokführer wissen, dass sie eventuell während Stunden kein WC aufsuchen können, auch Rauchpausen können wir nicht machen. Entweder arbeiten wir oder haben die eingeteilte Pause. Windeln führe ich im Dienst „noch“ nicht mit.

So verlasse ich die Lokomotive und begebe mich auf den Weg in Richtung der Aufenthaltsräume. Dort kann ich meiner Blase eine Erleichterung verschaffen, den Kaffee beziehen und nachsehen, wo denn der Zug zu finden ist, den ich nach Hause führen muss. Da ich schon einen Teil meiner Zeit für den Weg benötige, wird von meiner Zeit nicht viel übrig bleiben. Für einen Kaffee wird es reichen, für mehr aber kaum. Der Kaffee wird also on the fly getrunken.

Die Erleichterung nach der Entleerung der Blase ist gross. Jetzt geht es an den Kaffee, denn schliesslich kann ich auch nachsehen wo der Zug ist, wenn ich meinen Kaffee trinke. Die Firma mit den Automaten ist so gütig, dass der Kaffee aus dem Automat, dank einem Fehlgriff bei der Wahl, nicht gerade meinem bevorzugten Geschmack entspricht. Wer zu viel Auswahl hat, kann auch einmal einen Fehlgriff machen. So schlecht, dass ich ihn wegwerfe, ist er auch wieder nicht, aber diese Wahl werde ich nicht mehr vornehmen.

Im Raum mit den Computern sehe ich nach meinen Zug. Klar, wenn man keine Zeit hat, dann ist der Zug pünktlich unterwegs. Hat man Zeit zum Verschwenden, dann ist garantiert noch eine Verspätung von mehreren Stunden fällig.

Dann werden aus drei Stunden in Chiasso schnell fünf oder sechs. Das macht keinen Spass mehr. Daher beschliesse ich nun, dass ich den Kaffee austrinke und mich wieder auf den Weg mache. Ach, ist das Gebräu scheusslich. Werde in Zukunft wohl besser wählen.

Ich greife zur Mappe, denn bei einer so kurzen Pause lohnt es sich fast nicht mehr abzusitzen. Warum haben wir diese Pausen nur am Tag? Nachts, wo es keine Rolle spielt, dann sind sie länger.

Wobei jetzt spielt es ja keine Rolle, denn ich habe Pause, als die Küchen schlossen und die Abendessen noch nicht bereit standen. Ein Apfel aus dem Automat, oder ein Schokoriegel sind dann das grösste der Gefühle, die man haben kann. Gerade wurde der Automat in Erstfeld auf Schokolade umgestellt.

Wenn man solche Pausen hat und dann mit der Entscheidung mit der Schliessung des Standortes im Nacken lebt, empfindet man das etwas. Wer im Büro arbeitet, hat seine Mittagspause. Ich einen miesen Kaffee. So gesehen, bin ich eigentlich nichts anderes, als ein Schichtarbeiter. Eine Person, die an den Leuten vorbei lebt und dafür sorgt, dass diese „Normalos“ vernünftig leben können. Der Zusatz Lokführer macht das leider noch etwas schlimmer, hebt die Funktion aber schon lange nicht mehr.

Ich hatte Verspätung, die meine Pause beinahe vernichtete, genoss einen miesen Kaffee, und mache mich mit knurrendem Magen auf den Weg zur Lokomotive. Wer will jetzt noch Lokführer sein? Wie es aussieht, werde ich in diesem Dienst kaum mit einer Person sprechen. Begrüssungen sind ja kein Gespräch, sondern Anstand. Vielleicht bemerkte jemand, dass ich hier war. Bemerkt wurde, dass ich nicht da war, denn das Handy klingelt.

Es ist die Leitstelle im fernen Olten. Was dort für Wetter herrscht? Hier scheint die Sonne und es ist warm. Ich nehme den Anruf an. Den erwarteten Vorwurf kriege ich nicht zu hören. Vielmehr erfolgt die Info, dass der Zug kontrolliert würde. Es gäbe etwas Verspätung bei der Abfahrt. Fabelhaft, dann hätte ich doch noch etwas mehr als den Kaffee beziehen können. Gehoben wird die Moral damit jedoch nicht, denn schliesslich bin ich beinahe bei der Lokomotive und der Weg zurück ist lange.

Ich danke für die Info und denke dabei daran, dass es wohl die Person sein wird, mit der ich am heutigen Tag die umfangreichste Kommunikation führte. Zumindest jemand, der einem eine gute Heimfahrt wünscht. Etwas persönliches, das die Stimmung gleich verbessert, denn dank der Kontrolle fällt auch nicht auf, dass ich eigentlich zu spät zur Lokomotive ging. Nur, ich arbeite und bin nicht auf der Flucht.

Immer mehr wurden die Zeiten, die uns zustanden, gekürzt. Die Inbetriebnahme einer Lokomotive dauert 4 Minuten, auch wenn man mehr benötigt. Vermutlich wurde ausgehandelt, dass normalerweise vier Minuten und 28 Sekunden benötigt werden. Dann habe ich noch 19 Sekunden Zeit um die Daten einzugeben. Schliesslich muss ich in einer Minute und 18 Sekunden noch den Funk bedienen. So aufgeschlüsselt erscheinen die Zahlen noch schlimmer, als sie sonst schon sind.

Da werden die Zeiten gekürzt, damit wir produktiver werden. Das ist ja schön, aber wäre es dann nicht sinnvoll, wenn wir auch genug Arbeitszeit haben? Ich komme mir immer mehr vor, als sei ich eine Funktion, die nur benötigt wird, weil man ohne Lokführer nicht fahren kann? Wann flattert die Kündigung ins Haus? Bin ich in vier Jahren arbeitslos? Ich weiss es nicht, denn meine Sekunden sind um und ich muss zum Funk greifen. Zeit für weitere Gedanken habe ich schon lange nicht mehr.

Der Fahrdienstleiter meldet sich. Die abgehende Lokomotive für den Zug ist fahrbereit. Ja, ich weiss, ich hätte eigentlich diese Meldung schon vor 15 Minuten geben sollen, aber ich kam zu spät an. Ach, das interessiert den Fahrdienstleiter nicht. Mir egal, ich bin nicht auf der Flucht, sondern arbeite noch. So, das Funkgespräch war wieder motivierend. Ich bin wieder der Trottel, der für alle Probleme der Firma dastehen muss.

Ach ja, die Lokleitung sollte ja noch erfahren, was ich für eine Lokomotive habe. So rufe ich den Lokleiter an. Auch er ist irgendwo in Olten und spielt virtuell mit der Eisenbahn. Nach einer schier endlosen Warterei nimmt jemand ab. Ich melde die Zugnummer und die Lokomotiven. Ich unterlasse es auch nicht, den Standort zu melden, denn nur so kann der gute Herr nachvollziehen, von wo ich eigentlich anrufe, denn ein Handy kann überall sein. Ich gebe gute Informationen, damit die anderen auch gute Arbeit leisten können.

Die Antwort ist nicht besonders erbaulich, denn ich erfahre, dass ich in Basel bin. „Äh, was Basel, ich steht im sonnigen und warmen Bellinzona!“ Zumindest meine Lok soll dort sein? Irgendwie verstehe ich die Welt nicht so ganz und ein Erdbeben gab es nicht, zumindest habe ich keines bemerkt. Ich werde ja wohl noch wissen, auf welcher Lok ich sitze. Beim Bahnhof bin ich mir auch sicher, denn die Sprache der Leute passt dazu. Die Landschaft kann verwirrend wirken, aber nicht so. Die Lokomotive steht in Bellinzona, basta!

Das Zwergsignal vor mir geht auf Fahrt. Die Pause, nein, die Zeit ohne Fahrten in Bellinzona ist vorbei. Gesehen habe ich in diesem grossen Bahnhof kaum eine Person. Die einzigen, mit denen ich sprach, sind irgendwo. Zumindest einer davon ist noch in Bellinzona, zumindest denke ich das. Meine Information besagt nämlich, dass der Fahrdienst Bellinzona tatsächlich noch in Bellinzona ist. Oder wurde deren Umzug nicht gemeldet? Egal, wo man bei der Bahn arbeitet, man muss umziehen und alle Zelte abreissen, auch wenn es Häuser sind.

Mist, die Handbremse sollte ich auch noch lösen. Die hätte ich bei all den Wirren beinahe vergessen. Gut, dass ich mir angewöhnt habe, immer noch einmal vor der Abfahrt einen Kontrollgriff zu machen. Langsam fühle ich mich in einem falschen Film. Der Tag läuft wieder einmal gegen mich. Ich vermisse jene Zeit, wo ich eine Lokomotive in aller Ruhe kontrollieren konnte und diese auch dort war, wo ich sie kontrollierte. Aber diese Zeiten sind vorbei und heute ist nur noch Frust vorhanden.

 

Auf dem Weg zum Zug

Die Strecke, die ich fahren kann, ist nur kurz. Ich darf den Führerstand wieder wechseln. Die Arbeiten hier sind längst zur Routine geworden. Die Gegend kenne ich und so weiss ich, dass ich den Führerstand gegen ein Hauptgeleise verlasse. Der sarkastische Kommentar eines Ausbildners, der meinte, dass Lokführer Verbrauchsmaterial seinen, wird dann schnell sehr real, denn ich sehe die Züge nicht kommen und so halte ich mich sehr nahe an der Lokomotive und gehe auf der abgewandten Seite der Lok entlang.

So schlimm mit meiner Verspätung ist es auch wieder nicht, denn die Re 484, die den Zug brachte, steht immer noch vor den Wagen. Der Kollege aus dem Tessin macht das richtig, der wartet, bis der Rangierarbeiter den Weg gemütlichen Schrittes geschafft hat. Denen spielt es ja keine Rolle, wann der Zug fährt. Der Blöde ist ja der Lokführer aus Erstfeld. Neu ist das nicht, aber es schmerzt immer wieder, denn wenn man aus Erstfeld kommt ist man immer der Dumme, auch wenn es nicht so ist.

Selbst bei den Kollegen aus den anderen Depots geniessen wir kaum Ansehen. Wir sind die, die dafür sorgten, dass sie mehr Nachtarbeit leisten müssen und natürlich fahren wir die schönen Touren. Wir in Erstfeld sind schuld, wenn die Züge zu spät sind und wir in Erstfeld werden unsere Stelle verlieren. Dann müssen andere Sündenböcke für die Probleme vor Ort, gesucht werden. Die Lokführer aus Erstfeld, die nur versuchen zu überleben, stehen dann nicht mehr zur Verfügung. Bei sich selber schaut niemand nach den Fehlern.

Endlich! Die Re 484 bewegt sich vom Zug weg. Sie nähert sich mir und neben mir öffnet sich die Türe des Führerstandes. Ich hätte Gefahrgutkontrolle am Zug. Schön, dass er sich bemühte mir das zu sagen. Wann ich abfahren werde, steht in den Sternen, wenn die etwas finden, kann ich froh sein, wenn ich heute noch nach Hause komme. Die Uhr zeigt gerade 16.00 Uhr. Das Zwergsignal geht auf Fahrt und ich kann an den Zug fahren. Endlich habe ich wieder Wagen an der Lokomotive.

Erneut wechsle ich den Führerstand. Ich will ja in Richtung Norden fahren. Das ist jedoch nur möglich, wenn ich den Führerstand wechsle. Die Papiere für den Zug nehme ich dabei mit. Ein Blick auf die Daten verrät mir, dass der Zug über 1000 Tonnen hat. Genau sind es 1‘138 Tonnen. Ohne Lokomotiven versteht sich. Eigentlich leicht. Ich bin froh, dass es nicht mehr ist. So komme ich gut den Berg hinunter. Nur, noch fahre ich nicht. Die orange gekleideten Herren sind noch weit von der Lokomotive entfernt.

Im Führerstand gebe ich alle Daten ein. Ob ich Sekundengenau arbeite, weiss ich nicht. Ich muss die Daten eingeben und das dauert etwas. Der Rangierarbeiter fuchtelt nervös mit den Händen. Das sollte wohl das Signal zum Bremsen sein. Dann bremse ich einmal den Zug. Es war so, er kontrolliert die Bremsen und ich kann wieder lösen. Die Daten für die Zugsicherung ZUB 121 fehlen noch, aber wenn der gute Herr auf Tempo macht, ist das mir egal.

Die Bremsen können gelöst werden. Ob sie auch wirklich lösten, weiss ich nicht so genau, denn es wurde nur optisch kontrolliert, ob die Klötze sich vom Rad entfernen. Wenn der Zug nicht korrekt löst, ist das ja nun das Problem des Lokführers. Man kann sich zurückziehen und weiss von nichts. Die Meldung Bremse gut, erfolgt bereits beim Weggehen. Der Zug ist nun bereit, aber die Kontrolleure sind noch bei der Arbeit und ich kann endgültig alle benötigten Daten eingeben. Der Zug ist soweit fahrbereit.

Obwohl ich fahrbereit bin, kann ich noch nicht losfahren, denn die Kontrolle hindert mich daran. Ich blicke in die LEA Cargo und sehe nach, wie ich zum Fahrplan stehe. Bis jetzt wäre ich sogar noch pünktlich beim Start. In einigen Minuten wird es dann schlecht aussehen und die Fahrt wird mit Verspätung beginnen. Finden die Kontrolleure noch einen Container, der nicht korrekt beschriftet wurde und ich stehe noch Stunden hier und es wird ein langer Tag.

Ein Blick zurück lässt mich erkennen, sie haben beinahe die Spitze erreicht. Dann kommt die Stunde der Wahrheit. Steht ein ausgedehntes Manöver an, oder kann ich losfahren? Der Fahrplan wurde längst zur Makulatur und der Interregio, der eigentlich nach mir in Erstfeld ankommen sollte, fährt gerade an mir vorbei. Somit kann ich nicht pünktlich ankommen! Die Kontrolle ist beendet und der Kontrolleur kommt zu mir. Alles in Ordnung, der Zug kann die Fahrt fortsetzen.

Das klingt gut, die Meldung an den Fahrdienstleiter erfolgt vom Kontrolleur. Jedoch greife auch ich zum Funk, denn nur so kann ich erfahren, wann ich letztlich losfahren kann. Die Information freut mich nicht besonders. Abfahrt mit plus 25 Minuten. Der Grund ist Einspurbetrieb auf der Strecke. So bleibt mir nicht viel anderes übrig, als zu warten, bis es eine Lücke für mich gibt. Im Gegenverkehr fahren die Züge der anderen EVU und der Zug von SBB Cargo steht. Das ist normal.

 

San Paolo – Erstfeld

Ich richte mir eine Pfeife ein. Eigentlich herrscht Rauchverbot, aber die Lokführer können nicht einfach zur Rauchpause gehen. Mittlerweile sind mir die möglichen Sanktionen egal. Meine Nerven müssen etwas beruhigt werden. Noch bleibt das Signal davon unbeeindruckt und ich habe genug Zeit, alles schön sauber zuzubereiten. Dann genügt ein Streichholz und die Welt ist wieder etwas besser. Zumindest für mich. Nerven kann mich jetzt niemand mehr.

Aha, ein Farbwechsel ist erfolgt. Ich kann mit dem Zug losfahren. Die ersten Fahrstufen dienen dazu, den Zug zu strecken. So sind die Kupplungen besser belastbar. Grosse Zugkräfte benötige ich nicht, denn noch darf ich nur mit 40 km/h fahren. Da der Zug lange ist, werde ich diese Geschwindigkeit erreichen, wenn noch nicht alle Wagen über die betreffende Weiche fuhren. Daher vermeide ich zu hohe Zugkräfte. Die Kupplungen können schliesslich auch geschont werden.

Willig folgen die Wagen den beiden Lokomotiven und dank der Kurve kann ich den Zug ganz gut ansehen. Ein Gegenzug fährt ein. Die Kontrolleure stehen bereit und auch er wird kontrolliert werden. Ob er gleich viel Glück hat, wie ich, interessiert mich nicht. Ich weiss nur, dass ich aktuell mit 25 Minuten Rückstand verkehre. Der ICN habe ich im Rücken, das könnte noch zum Problem werden. Aber jetzt ist die Beschränkung auf 40 km/h erledigt. Ich kann weiter beschleunigen.

Nach Castione-Arbedo habe ich beinahe die maximale Geschwindigkeit erreicht. Eine gute Gelegenheit die Bremsen des Zuges zu prüfen. Ich leite daher eine Bremsung ein. Die erwartete Bremswirkung kann als bescheiden ausgedrückt werden, aber der Anteil von Gummiklötzen ist recht hoch. Daher ist es eine normale Bremsung. Ich muss einfach reagieren, wenn es schnell gehen muss. Hier spielt Erfahrung eine grosse Rolle.

Nachdem ich die Bremsen gelöst habe, beschleunige ich wieder und ergänze die verlorene Geschwindigkeit. Die Fahrt nach Norden führt nun durch Claro und dann entlang der Strasse. Bahnhöfe wo ich in die Überholung gehen kann, gibt es an mehreren Orten. Der erste davon ist Biasca. Noch hat der ICN aber genug Abstand. Ich versuche zudem, etwas von der Verspätung aufzuholen. Leicht wird das jedoch nicht werden, denn die Fahrzeiten sind knapp kalkuliert worden.

Das Auto auf der Strasse ist wieder einmal schneller als ich. Gut 100 km/h sind innerorts auch nicht gerade schnell. Die Strasse ist hier eine Rennbahn. Bisher sah ich weder Baumaschinen noch Personal, das an der Strecke gearbeitet hat. Der Einspurbetrieb erscheint mir immer mehr eine Ausrede zu sein. Ich wusste ja, als ich kam, wo gearbeitet wurde. Nur, Störungen gibt es immer wieder. Einen etwas bitteren Nachgeschmack hat die Information jedoch schon.

Die Schutzstrecke verhindert, dass ich bis Biasca die Geschwindigkeit halten kann. Hier muss ich die Lokomotive ausschalten und die Stromabnehmer senken. Jahre lang konnten wir mit zwei Lokomotiven es beim Ausschalten belassen. Da aber die Vorschriften vereinfacht wurden, müssen die Stromabnehmer gesenkt werden. Dadurch muss der Zug aber wesentlich länger rollen, denn die gesenkten Stromabnehmer müssen sich ja zuerst wieder heben.

Dank der Steigung verliere ich Geschwindigkeit, die wieder ergänzt werden muss. Dies immer unter dem Gesichtspunkt, dass in Biasca eine Kurve auf mich wartet, die nur mit 75 km/h befahren werden kann. Gut, es ginge natürlich, wie bei den Autos, auch schneller, wäre nicht ZUB 121 vorhanden, das genau kontrolliert, was wir machen. Die grosse Beschleunigung lasse ich sein, denn das wäre Energieverschwendung, da der Zeitgewinn ein paar Sekunden beträgt. Aber heute zählen auch Sekunden.

Biasca konnte ich, wie erwartet ohne Schwierigkeiten passieren. Die Fahrt um die Kurve war auch nicht so schwer. Jetzt wird die Strecke wieder gerader, aber beschleunigen muss ich nicht. Mehr als 80 km/h darf ich nicht fahren, denn der Zug verkehrt ebenfalls nach Zugreihe D und die lässt hier bekanntlich nur 80 km/h zu. Für meine Aufholaktion ist das natürlich nicht gut und bisher habe ich nur ein paar wenige Minuten eingeholt. Der Rückstand beträgt daher immer noch 20 Minuten.

In den Basistunnel führen bereits die ersten Schienen. Der Endausbau des Tunnels hat begonnen.  Eine Fahrleitung gibt es noch nicht zu sehen. Gut, schon seit Jahren führen hier Geleise in den Tunnel, aber nun sind es solche, die von der Spurweite her zu meinen Lokomotiven passen würden.

Würde ich mit 20 Minuten Verspätung auch noch in den Basistunnel passen? Müsste ich vielleicht in Biasca warten und hätte noch mehr Verspätung? Die Zukunft wird es zeigen.

Mehr Zeit, mich der Zukunft zu widmen, habe ich jedoch nicht. Ich muss jetzt über die Kuppe und müsste dabei eigentlich noch Zugkraft aufbauen. Für die Kupplungen ist das jedoch Gift, so dass ich den Zug ab der Kuppe einfach rollen lasse.

Ich verliere so zwar Geschwindigkeit, aber der Zug bleibt ganz. Das ist immer noch schneller, als wenn man die Wagen suchen muss, weil eine Kupplung meinte, das sei nun wirklich zu viel für sie.

Als ich den Bahnhof von Bodio passiere, habe ich Gewissheit. Bis hier gab es keinen Einspurabschnitt. Auch hier wurden die Bauarbeiten eingestellt und die Züge können wieder auf allen Geleisen verkehren. Vor Jahren stellte man hier den Regionalverkehr ein und nun modernisiert man die Bahnsteige für die neuen Züge. Die Bahn ist ganz klar auf dem Vormarsch. Nur, mit jedem Regionalzug geht und im Güterverkehr mehr und mehr die Luft aus, auch wenn man die Regionalzüge nun S-Bahn nennt.

Doch nun steht die Steigung an. Der Zug, der ein Gewicht von 1‘138 Tonnen hat, muss nach Airolo gebracht werden. Jetzt sind die Stärken der Kupplungen und der Lokomotiven gefragt, denn gerade hier ist die Belastung hoch. Da ich nicht beschleunigen muss, muss ich darauf achten, dass ich die Geschwindigkeit möglichst genau halten kann. Nur so verhindere ich, dass ich in der Steigung beschleunigen muss. Damit würde natürlich Energie verschwendet werden und die Kupplungen würden stärker belastet.

Irgendetwas mit dem Zug muss jedoch nicht stimmen, denn ich benötige sehr viel Zugkraft und kann kaum die Geschwindigkeit halten. Bremst ein Wagen? Stimmt etwas mit den Lokomotiven nicht? Die Lokomotiven sind in Ordnung, ich habe einfach das Gefühl dass der Zug schwerer ist, als es auf dem Papier steht. Das könnte eine Bremse sein, die nicht gelöst hat. Aber da ich seit der letzten Bremsung eine ZKE-Messanlage passiert habe, kann das auch kaum möglich sein.

Die plausibelste Ursache ist schlicht und einfach, dass meine Angaben nicht stimmen. Ich vertraue einem Stück Papier, das von einer Person, die einen Computer bediente, ausgefüllt wurde. Ob das wirklich stimmt, weiss ich nicht, aber ich habe den Verdacht, dass mit einer leichteren Gewichtsangabe, Kosten beim Verlader gespart werden sollten. Der Lokführer merkt es dann und ärgert sich über die Angaben, die nicht stimmen. Die benötigte Zugkraft würde eher zu einem Zug mit 1‘400 Tonnen passen.

Auch der Blick in den Rückspiegel verrät, dass bei den Bremsen alles in Ordnung ist. Es müssten nun Rauch oder Funken zu sehen sein. Nur, optisch ist am Zug alles in bester Ordnung. Meine Zugkraft ist für das angegebene Gewicht aber zu hoch. Nicht jeder Lokführer merkt das, aber wenn man viel Erfahrung hat und sich etwas mit der Technik befasst, weiss man, dass hier nicht alles stimmen kann. Den Gotthard hoch werde ich kommen, denn ich bin im steilsten Abschnitt der Strecke, aber das Gewicht stimmt nicht.

Klar, der steile Abschnitt kann sich etwas auswirken, aber nicht so viel. So wird es aber schwer werden, Zeit gut zu machen. Ich bin mit der Zugkraft so hoch, dass nur eine Stufe zu viel sein kann. Die Kupplungen ertragen nicht alle Kräfte. Wenn ich bedenke, dass ich mit dem 1‘600 Tonnen schweren Zug mit Schiebelokomotive weniger Zugkraft benötigte, wird mir etwas flau im Magen. Die Steigung ist sicher ein Punkt, aber stimmt das angegebene Bremsverhältnis wirklich?

Diese Angaben sind für mich die Lebensversicherung. Ich fahre nach diesen Angaben und muss damit vor dem roten Signal anhalten können. Gelingt mir das nicht, habe ich im besten Fall riesengrossen Ärger. Wenn es dumm laufen sollte, stehe ich vor einem Gegenzug und es gibt Tote zu beklagen. Schuld bin dann ich, denn ich habe diese Angaben, die offensichtlich nicht stimmen. Soll ich nun mit dem Zug ausserordentlich anhalten oder soll ich zufahren?

Eine Entscheidung die schwer fällt. Stimmt meine Vermutung, ist alles klar. Stimmen die Angaben, habe ich wiederum Ärger. Ich entscheide mich für einen Mittelweg. Ich halte nicht an, obwohl ich immer mehr davon überzeugt bin, dass nicht alles stimmt. Das Gefälle fahre ich etwas verhaltener und benötige damit etwas mehr Zeit. Mit den neuen Bremsklötzen, die ich nur als Gummiklötze bezeichne, ist das eine gute Idee.

Wie soll ich es sagen, aber die Leventina wurde eine Herausforderung. Zwar konnte ich zufahren, aber mein Verdacht wurde keineswegs entkräftet. Jemand meinte, dass ein oder zwei Hundert Tonnen keine Auswirkungen haben. Das haben sie, denn der Lokführer merkt die kleinsten Abweichungen. Der, der diese Angaben ausgefüllt hat, müsste unterschreiben, aber hier steht nur von Cis. Wen soll man dann zu Rechenschaft ziehen? Ich bin bekannt und muss alles ausbaden. Der Lokführer ist dann wieder der Dumme.

Endlich, ich habe Airolo erreicht. Die Re 4/4 II bekundete mit der hohen Leistung auf den letzten Metern Probleme. Das bemerkte ich, da kurz vor Airolo die Warnlampe der Ventilation aufleuchtete. Ein Umstand, der für die Lokomotive gefährlich werden kann. Daher kontrolliere ich die Ursache der Störung. Zwei Fahrstufen schalte ich ab, die Lampe erlischt. Aha, die optimierte Ventisteuerung vermag die Wärme nicht korrekt abzuführen. Nun ist es klar, der Zug ist zu schwer.

Doch nun ist Airolo erreicht. Im Tunnel spielt es keine Rolle und die Talfahrt wird etwas gemütlicher erfolgen. Ich muss vor den roten Signalen anhalten. Genervt bin ich zwar, aber was soll ich machen. Wäre ich ein Lokführer, der nicht über die Erfahrung verfügt, würde ich nichts bemerken. Ich bin aber einer der alten Schule. Die auch das bemerken. In einigen Jahren ist das Problem dann vom Tisch, die Lokführer der alten Garde sind weg. Dann kann man den Zügen anhängen was man will, der Trottel fährt dann schon mit dem Zug.

Im Gotthardtunnel beschleunige ich mit dem Zug auf die erlaubte Geschwindigkeit. Mein Rückstand in Airolo war immer noch 20 Minuten. Langsam wird es eng werden mit dem ICN, der auf dieser Strecke schnell aufholen wird.

In Göschenen wird dann die Entscheidung gefällt werden, denn kann ich Durchfahren, ist alles gut. Sonst verliere ich die mühsam erarbeiteten Minuten wieder. Ein Problem, das man im Güterverkehr am Gotthard schnell erkennt.

Ich mache mir auch Gedanken, wie ich die Talfahrt gestalte. Die Bremsungen müssen bis in tiefere Geschwindigkeiten erfolgen, ich muss darauf achten, dass die Füllung der Bremsapparate korrekt erfolgt und vor den Vorsignalen sollte ich gebremst kommen oder langsam fahren.

Dann sollte die Talfahrt nicht zum Abenteuer werden. Soweit ist alles klar und ich habe zumindest sprachlich den Kanton Tessin verlassen, ab hier wird wieder deutsch gesprochen.

Nur noch wenige Kilometer trennen mich vor dem endgültigen Entscheid. Stimmt die Bremsung, dann fahre ich zu. Stimmt sie nicht, halte ich an und verlange eine neue Bremsrechnung.

Die ergibt dann, dass alle Angaben stimmen. Das ist klar, denn die werden mit den gleichen Angaben gemacht. Ob der Container nun mit 10 Tonnen oder 25 Tonnen beladen ist, berücksichtigt man nicht. Das ist nur ein Gefühl des Lokführers, der wieder einmal die Flöhe husten hört.

Die Bremsungen werden nötig. Ich bremse daher den Zug an. Er bremst schon nicht gut, aber auch nicht so schlecht, dass ich sagen könnte, das reicht nicht. Die Entscheidung fällt schwer, aber ich entscheide mich für die Option langsamere Talfahrt. Dort merke ich dann schnell, wie sich der Zug verhält. Bisher konnten die Wagen auch schlecht rollen und so das Gewicht erhöhen. Auf der Talfahrt, werden die Karten aber offen gelegt.

Schon vor dem Ende des Gotthardtunnels verzögere ich den Zug mit Hilfe der elektrischen Bremse. Den Bahnhof von Göschenen verlasse ich daher gemütlich, aber ich experimentiere mit den Bremsen des Zuges und da will ich nicht zu optimistisch loslassen. Defensive ist angesagt. Der Zug kommt schnell auf Tempo und ich habe die Bestätigung, der Zug hat mindestens 1‘400 Tonnen. Ich bin mir sicher und daher wird die Bremserei so ausgelegt, das obwohl der ICN gefährlich nahe ist.

Ich Bremse den Zug an, er verzögert und ich lasse die Geschwindigkeit stark zusammenfallen. Nun löse ich den Zug wieder. Die Zeit, die nun vergehen sollte, lege ich auf zwei Minuten fest. Ich traue dem Zug einfach nicht und so fahre ich defensiv.

Die Zeit mit der Lösephase dauerte knapp zwei Minuten. Auch wenn ich mir bisher nicht ganz sicher war, ich würde schwören, der Zug ist mindestens 300 Tonnen schwerer, als es auf der Belastung steht. Das nervt etwas, denn falsche Angaben machen, kann auch ich.

Da ich die Fahrt bisher ohne nennenswerte Probleme mit den Signalen zurücklegen konnte, kann ich die Bremsen genau beobachten. Die Tatsache, dass ich die Lösezeiten knapp halten kann und dass ich stark verzögere, führt dazu, dass ich die Fahrzeit gerade halten konnte.

Ich habe in Wassen einen Rückstand von 20 Minuten. Aufholen werde ich nichts mehr. Es wird dabei bleiben und die Luft zwischen mir und dem verfolgenden ICN wird sehr dünn werden.

Auch die weitere Talfahrt verlief einigermassen normal. Ausser der Tatsache, dass der Zug zu schwer ist, hatte ich keine Probleme. Die Signale waren mir gnädig und die Bremsen wirken nun etwas weniger gut. Die elektrische Bremse wird warm und lässt etwas nach. Die Luftapparate konnten wohl nicht immer ganz gefüllt werden. Daher beschliesse ich, dass nun eine Bremsung erfolgen muss, die genug Zeit zum Füllen ergibt. Schnell wird das nicht sein, aber zumindest sicher und das hat immer noch Priorität.

Ich konnte auch die Spurwechselstelle Zgraggen ohne fehlerhafte Farben bei den Signalen passieren. Hier ist aber eine ZKE-Messanlage. Nun kommt die Stunde der Wahrheit. Stimmen die Werte und war meine Fahrt gut? Fragen, die mich nun beschäftigen, denn ich muss abbremsen. Nicht weil ein Signal die falsche Farbe hatte, sondern schlicht, weil ich sonst zu schnell geworden wäre. Dumm dabei ist nur, dass ich genau auf der Anlage damit begonnen habe. Auswirkungen sollte es keine haben, aber den Ärger provozieren will ich auch nicht.

In Amsteg kontrolliere ich noch einmal die Zeit. Es sind immer noch 20 Minuten Rückstand und der ICN muss nun fast den Zugschluss sehen können. So nahe ist er, aber nun wird es zuerst etwas flacher. Das hilft meinen Bremsen. Wenn ich so in die Station fahre und diese Handlung mache, dann sollte ich ohne Bremsung in die Ebene kommen. Werte, die aus der Erfahrung kommen und die ich nun anhand der Angaben machte. Jetzt erfolgt die ultimative Prüfung für das Gewicht des Zuges.

Die Geschwindigkeit steigt an und steigt und steigt. Das wird nicht reichen! Ich muss die Luftbremsen zu Hilfe nehmen. Der Zug ist definitiv zu schwer. Jetzt bin ich felsenfest davon überzeugt. Da nun aber Erstfeld ansteht, lasse ich den Zug rollen. Die Bremsapparate sind nicht ganz gefüllt, das muss ich bei der Einfahrt berücksichtigen. Die Ankunft am Endbahnhof meiner Tour steht an und noch habe ich den schwersten Teil der Fahrt vor mir, denn ich muss vor dem roten Signal zum Stehen kommen.

Das Vorsignal zur Einfahrt erscheint in meinem Blickfeld. Erstfeld offen 60. Ich verzögere den Zug und lasse die Bremsen des Zuges angezogen. Wenn ich jetzt löse, fehlt mir die Bremskraft um anzuhalten.

Der Halt in Erstfeld ist sicher, denn dort hatte ich vor 15 Minuten Feierabend gehabt. So komme ich gemütlicher in den Bahnhof, was auf Grund des Verdachtes sicher nicht falsch ist. Die Werte für die Temperaturen werden vielleicht überschritten, aber das ist mir nun egal.

Wie erwartet, zeigt das Vorsignal zur Ausfahrt Warnung. Die Zugsicherung spricht an und beim Anzeigegerät für ZUB 121, erscheint eine Null. Ich fahre nun mit 50 km/h und die Verzögerung ist immer noch vorhanden, wenn auch gering. Später wird dann die elektrische Bremse reduziert werden müssen.

Um trotzdem langsamer zu werden, wird die Bremsung der Wagen verstärkt. So komme ich vor dem Signal zum Stehen. Zumindest ist das mein Plan, der hoffentlich stimmt. Wissen kann ich es noch nicht.

Immer langsamer werde ich und letztlich komme ich zwei Meter vor dem Signal zum Stehen. Die Bremsung ist geglückt und ich kam dort zum Stehen, wo ich eigentlich wollte. Den Zug gebe ich nun an den Kollegen weiter. Natürlich berichte ich über den Verdacht und über die Bremsen, die nicht optimal wirken. Diese Angaben gehören zur Übergabe hinzu. Damit verlasse ich nun die Lokomotive und begebe mich in Richtung Depot, wo es Feierabend gibt.

 

Nacharbeiten in Erstfeld

Der Weg zum Depot führt am Vereinslokal vorbei. Die Arbeiten darin sind auf gutem Weg und ich kann, nein ich darf als Präsident den Mitgliedern ein grosses Lob aussprechen. Am Samstag soll ein neuer Verein für die grossen Lokomotiven entstehen. Das Team von SBB Historic formiert sich neu. Doch zuvor muss im Verkehrshaus noch das Rollmaterial ausgewechselt werden. Dann habe ich wieder diese Tour und hoffe, dass ich dann pünktlich eintreffen werde.

Auf dem Weg zurück mache ich mir auch ein paar Gedanken zum Zug, den ich soeben verlassen habe. Soll ich nun eine Meldung schreiben oder nicht? Eigentlich wäre es sinnvoll, aber die Untersuchung wird ergeben, dass die Listen stimmten und dass der Lokführer wieder einmal etwas bemerkt hatte, was nicht stimmen kann. Klar, die Listen stimmen, aber wurden sie richtig erstellt? Ich belasse es bei meinem Verdacht, denn ich glaube kaum, dass bei einem Güterzug die Gewichte je gepasst haben.

Eine Schätzung. Die Profis auf den Lokomotiven merken dann den Schwindel. Nur stehen sie damit alleine da, denn wie kämpft man gegen Papiere und Computerdaten. Ausser meinem Gefühl und meiner Praxis habe ich nichts, das für mich spricht. Ich belasse es, schliesslich habe ich auch so schon zu spät Feierabend und den Ärger soll man nicht suchen, wenn man ihn nicht finden will. Daher belasse ich es, bessern wird sich nichts. Statt nach Gefahrgut, sollte man einmal nach den korrekten Gewichten suchen.

Die Mappe stelle ich auf den Tisch und greife zum Handy. Ich muss die Verspätung angeben. Mache ich das nicht, stimmt meine geleistete Arbeit nicht und ich darf dann erklären, warum ich nicht genug gearbeitet habe. Dank dem Handy kann ich dabei meine Mappe im Kasten wegstellen. Immer noch erfolgt die Musik, die von einem nervigen „Grüezi“ begleitet wird. Ich gehe immer noch mit dem Telefon am Ohr zum Computer und sehe nach dem morgigen Tag. Es geht nach Basel.

Noch immer diese Musik und die Stimme. Mir ist es verleidet, ich warte nicht noch lange und gehe daher auf den Weg nach Hause. Muss ich wirklich warten, bis der Mitarbeiter auf der Leitstelle wirklich Zeit für mich hat? Ich denke nicht, denn wenn immer weniger Leute immer mehr Arbeit erledigen müssen, ist das nicht gut und so verlasse ich das Dienstgebäude und begebe mich zur Sockellokomotive, die immer noch da steht und etwas traurig wirkt. Hat sie Mitleid mit den Lokführern, die zu spät nach Hause kommen?

Irgendwann zwischen Bahnhof und Gemeindehaus hat jemand meinen Anruf angenommen. Ich kann die notwendigen Angaben machen. Die Zeit wird so angepasst werden. Ob das auch richtig erfolgen wird, werde ich nachkontrollieren, denn nicht alle Mitarbeiter auf der Leitstelle meinen, dass uns diese Zeit zusteht. Nur, wir sind Angestellte und die wollen für die geleistete Arbeit bezahlt werden. Sind die Umstände dafür auf den Leitstellen nicht gegeben, müssen nicht wir das ausbaden.

Ein Tag mehr geht somit für mich zu Ende. Ich denke an den Kollegen, der den Zug übernommen hat. Die Verspätung, die ich nicht einholen konnte, fehlt nun auch bei seiner Pause. Ob es ihm rechtzeitig auf die Rückleistung reicht? Wissen kann ich das nicht, aber die Zeiten für die Lokführer sind so knapp, dass die kleinste Störung zu Problemen führen kann. Ob damit wirklich viel Geld gespart wird, mag ich bezweifeln. Zum Glück muss ich die Telefonrechnung nicht bezahlen.

Zu Hause schalte ich den Computer auf und kann die Emails noch bearbeiten. Etwas Hunger habe ich, denn die letzte vernünftige Mahlzeit ist schon ein paar Stunden her. Dann geniesse ich den Abend. Was wohl im Fernsehen kommt? Ungewohnt, denn die Tage, wo ich mir diese Frage stellen muss, sind sehr selten. Zum Glück gibt es noch ein Gesetz, das vom Unternehmen nicht gebrochen werden kann. Zumindest schaut jemand nach der Gesundheit der Leute.

 

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